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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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ganz munter, und da ich nicht umhin konnte, die
schönen Nußbäume zu loben, die uns so lieblich be-
schatteten, fieng er an, uns, wiewohl mit einiger Be-
schwerlichkeit, die Geschichte davon zu geben. Den
alten sagte er, wissen wir nicht, wer den gepflanzt
hat, einige sagen dieser, andere jener Pfarrer. Der
jüngere aber dorthinten ist so alt als meine Frau,
im Oktober funfzig Jahre. Jhr Vater pflanzte
ihn des Morgens, als sie gegen Abend gebohren
wurde. Er war mein Vorfahr im Amte, und
wie lieb ihm der Baum war, ist nicht zu sagen,
mir ist er's gewiß nicht weniger, meine Frau sas
drunter auf einem Balken und strikte, als ich vor
sieben und zwanzig Jahren als ein armer Stu-
dent zum erstenmal hier in Hof kam. Lotte frag-
te nach seiner Tochter, es hieß, sie sey mit Herrn
Schmidt auf der Wiese hinaus zu den Arbeitern,
und der Alte fuhr in seiner Erzählung fort, wie
sein Vorfahr ihn lieb gewonnen und die Tochter
dazu, und wie er erst sein Vikar und dann sein
Nachfolger geworden. Die Geschichte war nicht
lange zu Ende, als die Jungfer Pfarrern mit dem
sogenannten Herrn Schmidt durch den Garten her-

kam,



ganz munter, und da ich nicht umhin konnte, die
ſchoͤnen Nußbaͤume zu loben, die uns ſo lieblich be-
ſchatteten, fieng er an, uns, wiewohl mit einiger Be-
ſchwerlichkeit, die Geſchichte davon zu geben. Den
alten ſagte er, wiſſen wir nicht, wer den gepflanzt
hat, einige ſagen dieſer, andere jener Pfarrer. Der
juͤngere aber dorthinten iſt ſo alt als meine Frau,
im Oktober funfzig Jahre. Jhr Vater pflanzte
ihn des Morgens, als ſie gegen Abend gebohren
wurde. Er war mein Vorfahr im Amte, und
wie lieb ihm der Baum war, iſt nicht zu ſagen,
mir iſt er’s gewiß nicht weniger, meine Frau ſas
drunter auf einem Balken und ſtrikte, als ich vor
ſieben und zwanzig Jahren als ein armer Stu-
dent zum erſtenmal hier in Hof kam. Lotte frag-
te nach ſeiner Tochter, es hieß, ſie ſey mit Herrn
Schmidt auf der Wieſe hinaus zu den Arbeitern,
und der Alte fuhr in ſeiner Erzaͤhlung fort, wie
ſein Vorfahr ihn lieb gewonnen und die Tochter
dazu, und wie er erſt ſein Vikar und dann ſein
Nachfolger geworden. Die Geſchichte war nicht
lange zu Ende, als die Jungfer Pfarrern mit dem
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[52/0052] ganz munter, und da ich nicht umhin konnte, die ſchoͤnen Nußbaͤume zu loben, die uns ſo lieblich be- ſchatteten, fieng er an, uns, wiewohl mit einiger Be- ſchwerlichkeit, die Geſchichte davon zu geben. Den alten ſagte er, wiſſen wir nicht, wer den gepflanzt hat, einige ſagen dieſer, andere jener Pfarrer. Der juͤngere aber dorthinten iſt ſo alt als meine Frau, im Oktober funfzig Jahre. Jhr Vater pflanzte ihn des Morgens, als ſie gegen Abend gebohren wurde. Er war mein Vorfahr im Amte, und wie lieb ihm der Baum war, iſt nicht zu ſagen, mir iſt er’s gewiß nicht weniger, meine Frau ſas drunter auf einem Balken und ſtrikte, als ich vor ſieben und zwanzig Jahren als ein armer Stu- dent zum erſtenmal hier in Hof kam. Lotte frag- te nach ſeiner Tochter, es hieß, ſie ſey mit Herrn Schmidt auf der Wieſe hinaus zu den Arbeitern, und der Alte fuhr in ſeiner Erzaͤhlung fort, wie ſein Vorfahr ihn lieb gewonnen und die Tochter dazu, und wie er erſt ſein Vikar und dann ſein Nachfolger geworden. Die Geſchichte war nicht lange zu Ende, als die Jungfer Pfarrern mit dem ſogenannten Herrn Schmidt durch den Garten her- kam,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/52>, abgerufen am 21.11.2024.