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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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weg; dann drückte sie die flachen, in die Höhe
gehobenen Hände zusammen, führte sie gegen
die Brust, indem sie sich nur wenig vorwärts
neigte, und sah den dringend Fordernden mit
einem solchen Blick an, daß er von allem
abzustehen genöthigt war, was er verlangen
oder wünschen mochte. Diese Bewegung
zerriß ihm das Herz. Er konnte den Anblick,
er konnte die Stellung Ottiliens nicht ertragen.
Es sah völlig aus, als würde sie in die Kniee
sinken, wenn er beharrte. Er eilte verzweif¬
lend zur Thür hinaus und schickte die Wir¬
thinn zu der Einsamen.

Er ging auf dem Vorsaal auf und ab.
Es war Nacht geworden, im Zimmer blieb
es stille. Endlich trat die Wirthinn heraus,
und zog den Schlüssel ab. Die gute Frau
war gerührt, war verlegen, sie wußte nicht
was sie thun sollte. Zuletzt im Weggehen
bot sie den Schlüssel Eduarden an, der ihn

weg; dann druͤckte ſie die flachen, in die Hoͤhe
gehobenen Haͤnde zuſammen, fuͤhrte ſie gegen
die Bruſt, indem ſie ſich nur wenig vorwaͤrts
neigte, und ſah den dringend Fordernden mit
einem ſolchen Blick an, daß er von allem
abzuſtehen genoͤthigt war, was er verlangen
oder wuͤnſchen mochte. Dieſe Bewegung
zerriß ihm das Herz. Er konnte den Anblick,
er konnte die Stellung Ottiliens nicht ertragen.
Es ſah voͤllig aus, als wuͤrde ſie in die Kniee
ſinken, wenn er beharrte. Er eilte verzweif¬
lend zur Thuͤr hinaus und ſchickte die Wir¬
thinn zu der Einſamen.

Er ging auf dem Vorſaal auf und ab.
Es war Nacht geworden, im Zimmer blieb
es ſtille. Endlich trat die Wirthinn heraus,
und zog den Schluͤſſel ab. Die gute Frau
war geruͤhrt, war verlegen, ſie wußte nicht
was ſie thun ſollte. Zuletzt im Weggehen
bot ſie den Schluͤſſel Eduarden an, der ihn

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[297/0300] weg; dann druͤckte ſie die flachen, in die Hoͤhe gehobenen Haͤnde zuſammen, fuͤhrte ſie gegen die Bruſt, indem ſie ſich nur wenig vorwaͤrts neigte, und ſah den dringend Fordernden mit einem ſolchen Blick an, daß er von allem abzuſtehen genoͤthigt war, was er verlangen oder wuͤnſchen mochte. Dieſe Bewegung zerriß ihm das Herz. Er konnte den Anblick, er konnte die Stellung Ottiliens nicht ertragen. Es ſah voͤllig aus, als wuͤrde ſie in die Kniee ſinken, wenn er beharrte. Er eilte verzweif¬ lend zur Thuͤr hinaus und ſchickte die Wir¬ thinn zu der Einſamen. Er ging auf dem Vorſaal auf und ab. Es war Nacht geworden, im Zimmer blieb es ſtille. Endlich trat die Wirthinn heraus, und zog den Schluͤſſel ab. Die gute Frau war geruͤhrt, war verlegen, ſie wußte nicht was ſie thun ſollte. Zuletzt im Weggehen bot ſie den Schluͤſſel Eduarden an, der ihn

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/300>, abgerufen am 17.05.2024.