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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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Park zogen, viel zu beschäftigt, sich einen
wahrhaft malerischen Standpunkt auszuwäh¬
len, als daß sie hätten bemerken sollen was
nebenher vorging. Sie lenkten vom Haupt¬
wege ab, um zu einem wenig besuchten
Platze am See zu gelangen, der Ihnen ein
reizendes Gegenüber anbot. Ottilie die uns
begleitete, stand an zu folgen, und bat, sich
auf dem Kahne dorthin begeben zu dürfen.
Ich setzte mich mit ihr ein und hatte meine
Freude an der Gewandtheit der schönen Schif¬
ferinn. Ich versicherte ihr, daß ich seit der
Schweiz, wo auch die reizendsten Mädchen
die Stelle des Fuhrmanns vertreten, nicht so
angenehm sey über die Wellen geschaukelt
worden; konnte mich aber nicht enthalten sie
zu fragen, warum sie eigentlich abgelehnt
jenen Seitenweg zu machen: denn wirklich
war in ihrem Ausweichen eine Art von ängst¬
licher Verlegenheit. Wenn Sie mich nicht
auslachen wollen, versetzte sie freundlich; so
kann ich Ihnen darüber wohl einige Aus¬

Park zogen, viel zu beſchaͤftigt, ſich einen
wahrhaft maleriſchen Standpunkt auszuwaͤh¬
len, als daß ſie haͤtten bemerken ſollen was
nebenher vorging. Sie lenkten vom Haupt¬
wege ab, um zu einem wenig beſuchten
Platze am See zu gelangen, der Ihnen ein
reizendes Gegenuͤber anbot. Ottilie die uns
begleitete, ſtand an zu folgen, und bat, ſich
auf dem Kahne dorthin begeben zu duͤrfen.
Ich ſetzte mich mit ihr ein und hatte meine
Freude an der Gewandtheit der ſchoͤnen Schif¬
ferinn. Ich verſicherte ihr, daß ich ſeit der
Schweiz, wo auch die reizendſten Maͤdchen
die Stelle des Fuhrmanns vertreten, nicht ſo
angenehm ſey uͤber die Wellen geſchaukelt
worden; konnte mich aber nicht enthalten ſie
zu fragen, warum ſie eigentlich abgelehnt
jenen Seitenweg zu machen: denn wirklich
war in ihrem Ausweichen eine Art von aͤngſt¬
licher Verlegenheit. Wenn Sie mich nicht
auslachen wollen, verſetzte ſie freundlich; ſo
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[219/0222] Park zogen, viel zu beſchaͤftigt, ſich einen wahrhaft maleriſchen Standpunkt auszuwaͤh¬ len, als daß ſie haͤtten bemerken ſollen was nebenher vorging. Sie lenkten vom Haupt¬ wege ab, um zu einem wenig beſuchten Platze am See zu gelangen, der Ihnen ein reizendes Gegenuͤber anbot. Ottilie die uns begleitete, ſtand an zu folgen, und bat, ſich auf dem Kahne dorthin begeben zu duͤrfen. Ich ſetzte mich mit ihr ein und hatte meine Freude an der Gewandtheit der ſchoͤnen Schif¬ ferinn. Ich verſicherte ihr, daß ich ſeit der Schweiz, wo auch die reizendſten Maͤdchen die Stelle des Fuhrmanns vertreten, nicht ſo angenehm ſey uͤber die Wellen geſchaukelt worden; konnte mich aber nicht enthalten ſie zu fragen, warum ſie eigentlich abgelehnt jenen Seitenweg zu machen: denn wirklich war in ihrem Ausweichen eine Art von aͤngſt¬ licher Verlegenheit. Wenn Sie mich nicht auslachen wollen, verſetzte ſie freundlich; ſo kann ich Ihnen daruͤber wohl einige Aus¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/222>, abgerufen am 24.11.2024.