Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809."So wiederhohlt sich denn abermals das "Wir schelten die Armen, besonders die „So wiederhohlt ſich denn abermals das „Wir ſchelten die Armen, beſonders die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0179" n="176"/> <p>„So wiederhohlt ſich denn abermals das<lb/> Jahresmaͤhrchen von vorn. Wir ſind nun<lb/> wieder, Gott ſey Dank! an ſeinem artig¬<lb/> ſten Kapitel. Veilchen und Mayblumen ſind<lb/> wie Ueberſchriften oder Vignetten dazu. Es<lb/> macht uns immer einen angenehmen Eindruck,<lb/> wenn wir ſie in dem Buche des Lebens wie¬<lb/> der aufſchlagen.“</p><lb/> <p>„Wir ſchelten die Armen, beſonders die<lb/> Unmuͤndigen, wenn ſie ſich an den Straßen<lb/> herumlegen und betteln. Bemerken wir nicht,<lb/> daß ſie gleich thaͤtig ſind, ſobald es was zu<lb/> thun giebt? Kaum entfaltet die Natur ihre<lb/> freundlichen Schaͤtze, ſo ſind die Kinder da¬<lb/> hinterher um ein Gewerbe zu eroͤffnen; keines<lb/> bettelt mehr; jedes reicht dir einen Strauß;<lb/> es hat ihn gepfluͤckt ehe du vom Schlaf er¬<lb/> wachteſt, und das Bittende ſieht dich ſo<lb/> freundlich an wie die Gabe. Niemand ſieht<lb/> erbaͤrmlich aus, der ſich einiges Recht fuͤhlt,<lb/> fordern zu duͤrfen.“</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [176/0179]
„So wiederhohlt ſich denn abermals das
Jahresmaͤhrchen von vorn. Wir ſind nun
wieder, Gott ſey Dank! an ſeinem artig¬
ſten Kapitel. Veilchen und Mayblumen ſind
wie Ueberſchriften oder Vignetten dazu. Es
macht uns immer einen angenehmen Eindruck,
wenn wir ſie in dem Buche des Lebens wie¬
der aufſchlagen.“
„Wir ſchelten die Armen, beſonders die
Unmuͤndigen, wenn ſie ſich an den Straßen
herumlegen und betteln. Bemerken wir nicht,
daß ſie gleich thaͤtig ſind, ſobald es was zu
thun giebt? Kaum entfaltet die Natur ihre
freundlichen Schaͤtze, ſo ſind die Kinder da¬
hinterher um ein Gewerbe zu eroͤffnen; keines
bettelt mehr; jedes reicht dir einen Strauß;
es hat ihn gepfluͤckt ehe du vom Schlaf er¬
wachteſt, und das Bittende ſieht dich ſo
freundlich an wie die Gabe. Niemand ſieht
erbaͤrmlich aus, der ſich einiges Recht fuͤhlt,
fordern zu duͤrfen.“
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/179>, abgerufen am 16.02.2025. |