Daß der gute alte Mann sich gern ge¬ setzt hätte, entging dem rüstigen Redner, der noch viel weniger dachte, daß er ein größeres Uebel hervorzubringen auf dem Wege war: denn nachdem er das Verhältniß eines jeden Anwesenden zum Kinde mit Nachdruck geschil¬ dert und Ottiliens Fassung dabey ziemlich auf die Probe gestellt hatte; so wandte er sich zuletzt gegen den Greis mit diesen Wor¬ ten: Und Sie, mein würdiger Altvater, kön¬ nen nunmehr mit Simeon sprechen: Herr laß deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben den Heiland dieses Hauses gesehen.
Nun war er im Zuge recht glänzend zu schließen, aber er bemerkte bald, daß der Alte, dem er das Kind hinhielt, sich zwar erst gegen dasselbe zu neigen schien, nachher aber schnell zurücksank. Vom Fall kaum ab¬ gehalten ward er in einen Sessel gebracht
Daß der gute alte Mann ſich gern ge¬ ſetzt haͤtte, entging dem ruͤſtigen Redner, der noch viel weniger dachte, daß er ein groͤßeres Uebel hervorzubringen auf dem Wege war: denn nachdem er das Verhaͤltniß eines jeden Anweſenden zum Kinde mit Nachdruck geſchil¬ dert und Ottiliens Faſſung dabey ziemlich auf die Probe geſtellt hatte; ſo wandte er ſich zuletzt gegen den Greis mit dieſen Wor¬ ten: Und Sie, mein wuͤrdiger Altvater, koͤn¬ nen nunmehr mit Simeon ſprechen: Herr laß deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben den Heiland dieſes Hauſes geſehen.
Nun war er im Zuge recht glaͤnzend zu ſchließen, aber er bemerkte bald, daß der Alte, dem er das Kind hinhielt, ſich zwar erſt gegen daſſelbe zu neigen ſchien, nachher aber ſchnell zuruͤckſank. Vom Fall kaum ab¬ gehalten ward er in einen Seſſel gebracht
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0167"n="164"/><p>Daß der gute alte Mann ſich gern ge¬<lb/>ſetzt haͤtte, entging dem ruͤſtigen Redner, der<lb/>
noch viel weniger dachte, daß er ein groͤßeres<lb/>
Uebel hervorzubringen auf dem Wege war:<lb/>
denn nachdem er das Verhaͤltniß eines jeden<lb/>
Anweſenden zum Kinde mit Nachdruck geſchil¬<lb/>
dert und Ottiliens Faſſung dabey ziemlich<lb/>
auf die Probe geſtellt hatte; ſo wandte er<lb/>ſich zuletzt gegen den Greis mit dieſen Wor¬<lb/>
ten: Und Sie, mein wuͤrdiger Altvater, koͤn¬<lb/>
nen nunmehr mit Simeon ſprechen: Herr<lb/>
laß deinen Diener in Frieden fahren; denn<lb/>
meine Augen haben den Heiland dieſes Hauſes<lb/>
geſehen.</p><lb/><p>Nun war er im Zuge recht glaͤnzend zu<lb/>ſchließen, aber er bemerkte bald, daß der<lb/>
Alte, dem er das Kind hinhielt, ſich zwar<lb/>
erſt gegen daſſelbe zu neigen ſchien, nachher<lb/>
aber ſchnell zuruͤckſank. Vom Fall kaum ab¬<lb/>
gehalten ward er in einen Seſſel gebracht<lb/></p></div></body></text></TEI>
[164/0167]
Daß der gute alte Mann ſich gern ge¬
ſetzt haͤtte, entging dem ruͤſtigen Redner, der
noch viel weniger dachte, daß er ein groͤßeres
Uebel hervorzubringen auf dem Wege war:
denn nachdem er das Verhaͤltniß eines jeden
Anweſenden zum Kinde mit Nachdruck geſchil¬
dert und Ottiliens Faſſung dabey ziemlich
auf die Probe geſtellt hatte; ſo wandte er
ſich zuletzt gegen den Greis mit dieſen Wor¬
ten: Und Sie, mein wuͤrdiger Altvater, koͤn¬
nen nunmehr mit Simeon ſprechen: Herr
laß deinen Diener in Frieden fahren; denn
meine Augen haben den Heiland dieſes Hauſes
geſehen.
Nun war er im Zuge recht glaͤnzend zu
ſchließen, aber er bemerkte bald, daß der
Alte, dem er das Kind hinhielt, ſich zwar
erſt gegen daſſelbe zu neigen ſchien, nachher
aber ſchnell zuruͤckſank. Vom Fall kaum ab¬
gehalten ward er in einen Seſſel gebracht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/167>, abgerufen am 02.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.