Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm sagte: Nun, Sie haben alles was in
meinem Kreise heranwächst, so ziemlich ge¬
prüft; wie finden Sie denn Ottilien? Sie dür¬
fen es wohl in ihrer Gegenwart aussprechen.

Der Gehülfe bezeichnete hierauf, mit sehr
viel Einsicht und ruhigem Ausdruck, wie er
Ottilien in Absicht eines freyeren Betragens,
einer bequemeren Mittheilung, eines höhern
Blicks in die weltlichen Dinge, der sich mehr in
ihren Handlungen als in ihren Worten bethä¬
tige, sehr zu ihrem Vortheil verändert finde;
daß er aber doch glaube, es könne ihr sehr zum
Nutzen gereichen, wenn sie auf einige Zeit in die
Pension zurückkehre, um das in einer gewissen
Folge gründlich und für immer sich zuzueignen,
was die Welt nur stückweise und eher zur
Verwirrung als zur Befriedigung, ja manch¬
mal nur allzuspät überliefere. Er wolle dar¬
über nicht weitläuftig seyn: Ottilie wisse selbst
am besten aus was für zusammenhängenden
Lehrvorträgen sie damals herausgerissen worden.

II. 10

ihm ſagte: Nun, Sie haben alles was in
meinem Kreiſe heranwaͤchſt, ſo ziemlich ge¬
pruͤft; wie finden Sie denn Ottilien? Sie duͤr¬
fen es wohl in ihrer Gegenwart ausſprechen.

Der Gehuͤlfe bezeichnete hierauf, mit ſehr
viel Einſicht und ruhigem Ausdruck, wie er
Ottilien in Abſicht eines freyeren Betragens,
einer bequemeren Mittheilung, eines hoͤhern
Blicks in die weltlichen Dinge, der ſich mehr in
ihren Handlungen als in ihren Worten bethaͤ¬
tige, ſehr zu ihrem Vortheil veraͤndert finde;
daß er aber doch glaube, es koͤnne ihr ſehr zum
Nutzen gereichen, wenn ſie auf einige Zeit in die
Penſion zuruͤckkehre, um das in einer gewiſſen
Folge gruͤndlich und fuͤr immer ſich zuzueignen,
was die Welt nur ſtuͤckweiſe und eher zur
Verwirrung als zur Befriedigung, ja manch¬
mal nur allzuſpaͤt uͤberliefere. Er wolle dar¬
uͤber nicht weitlaͤuftig ſeyn: Ottilie wiſſe ſelbſt
am beſten aus was fuͤr zuſammenhaͤngenden
Lehrvortraͤgen ſie damals herausgeriſſen worden.

II. 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0148" n="145"/>
ihm &#x017F;agte: Nun, Sie haben alles was in<lb/>
meinem Krei&#x017F;e heranwa&#x0364;ch&#x017F;t, &#x017F;o ziemlich ge¬<lb/>
pru&#x0364;ft; wie finden Sie denn Ottilien? Sie du&#x0364;<lb/>
fen es wohl in ihrer Gegenwart aus&#x017F;prechen.</p><lb/>
        <p>Der Gehu&#x0364;lfe bezeichnete hierauf, mit &#x017F;ehr<lb/>
viel Ein&#x017F;icht und ruhigem Ausdruck, wie er<lb/>
Ottilien in Ab&#x017F;icht eines freyeren Betragens,<lb/>
einer bequemeren Mittheilung, eines ho&#x0364;hern<lb/>
Blicks in die weltlichen Dinge, der &#x017F;ich mehr in<lb/>
ihren Handlungen als in ihren Worten betha&#x0364;¬<lb/>
tige, &#x017F;ehr zu ihrem Vortheil vera&#x0364;ndert finde;<lb/>
daß er aber doch glaube, es ko&#x0364;nne ihr &#x017F;ehr zum<lb/>
Nutzen gereichen, wenn &#x017F;ie auf einige Zeit in die<lb/>
Pen&#x017F;ion zuru&#x0364;ckkehre, um das in einer gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Folge gru&#x0364;ndlich und fu&#x0364;r immer &#x017F;ich zuzueignen,<lb/>
was die Welt nur &#x017F;tu&#x0364;ckwei&#x017F;e und eher zur<lb/>
Verwirrung als zur Befriedigung, ja manch¬<lb/>
mal nur allzu&#x017F;pa&#x0364;t u&#x0364;berliefere. Er wolle dar¬<lb/>
u&#x0364;ber nicht weitla&#x0364;uftig &#x017F;eyn: Ottilie wi&#x017F;&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
am be&#x017F;ten aus was fu&#x0364;r zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngenden<lb/>
Lehrvortra&#x0364;gen &#x017F;ie damals herausgeri&#x017F;&#x017F;en worden.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II</hi>. 10<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0148] ihm ſagte: Nun, Sie haben alles was in meinem Kreiſe heranwaͤchſt, ſo ziemlich ge¬ pruͤft; wie finden Sie denn Ottilien? Sie duͤr¬ fen es wohl in ihrer Gegenwart ausſprechen. Der Gehuͤlfe bezeichnete hierauf, mit ſehr viel Einſicht und ruhigem Ausdruck, wie er Ottilien in Abſicht eines freyeren Betragens, einer bequemeren Mittheilung, eines hoͤhern Blicks in die weltlichen Dinge, der ſich mehr in ihren Handlungen als in ihren Worten bethaͤ¬ tige, ſehr zu ihrem Vortheil veraͤndert finde; daß er aber doch glaube, es koͤnne ihr ſehr zum Nutzen gereichen, wenn ſie auf einige Zeit in die Penſion zuruͤckkehre, um das in einer gewiſſen Folge gruͤndlich und fuͤr immer ſich zuzueignen, was die Welt nur ſtuͤckweiſe und eher zur Verwirrung als zur Befriedigung, ja manch¬ mal nur allzuſpaͤt uͤberliefere. Er wolle dar¬ uͤber nicht weitlaͤuftig ſeyn: Ottilie wiſſe ſelbſt am beſten aus was fuͤr zuſammenhaͤngenden Lehrvortraͤgen ſie damals herausgeriſſen worden. II. 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/148
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/148>, abgerufen am 05.05.2024.