Von dem lebendigen Gemälde das ihn bey seiner Ankunft empfing, sprach er gar nicht. Als man ihm hingegen Kirche, Capelle und was sich darauf bezog, mit Zu¬ friedenheit sehen ließ, konnte er seine Mey¬ nung, seine Gesinnungen darüber nicht zu¬ rückhalten. Was mich betrifft, sagte er, so will mir diese Annäherung, diese Vermischung des Heiligen zu und mit dem Sinnlichen keineswegs gefallen, nicht gefallen, daß man sich gewisse besondre Räume widmet, weihet und aufschmückt, um erst dabey ein Gefühl der Frömmigkeit zu hegen und zu unterhalten. Keine Umgebung, selbst die ge¬ meinste nicht, soll in uns das Gefühl des Göttlichen stören, das uns überall hin beglei¬ ten und jede Stätte zu einem Tempel ein¬ weihen kann. Ich mag gern einen Hausgot¬ tesdienst in dem Saale gehalten sehen, wo man zu speisen, sich gesellig zu versammeln, mit Spiel und Tanz zu ergetzen pflegt. Das
Von dem lebendigen Gemaͤlde das ihn bey ſeiner Ankunft empfing, ſprach er gar nicht. Als man ihm hingegen Kirche, Capelle und was ſich darauf bezog, mit Zu¬ friedenheit ſehen ließ, konnte er ſeine Mey¬ nung, ſeine Geſinnungen daruͤber nicht zu¬ ruͤckhalten. Was mich betrifft, ſagte er, ſo will mir dieſe Annaͤherung, dieſe Vermiſchung des Heiligen zu und mit dem Sinnlichen keineswegs gefallen, nicht gefallen, daß man ſich gewiſſe beſondre Raͤume widmet, weihet und aufſchmuͤckt, um erſt dabey ein Gefuͤhl der Froͤmmigkeit zu hegen und zu unterhalten. Keine Umgebung, ſelbſt die ge¬ meinſte nicht, ſoll in uns das Gefuͤhl des Goͤttlichen ſtoͤren, das uns uͤberall hin beglei¬ ten und jede Staͤtte zu einem Tempel ein¬ weihen kann. Ich mag gern einen Hausgot¬ tesdienſt in dem Saale gehalten ſehen, wo man zu ſpeiſen, ſich geſellig zu verſammeln, mit Spiel und Tanz zu ergetzen pflegt. Das
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Von dem lebendigen Gemaͤlde das ihn
bey ſeiner Ankunft empfing, ſprach er
gar nicht. Als man ihm hingegen Kirche,
Capelle und was ſich darauf bezog, mit Zu¬
friedenheit ſehen ließ, konnte er ſeine Mey¬
nung, ſeine Geſinnungen daruͤber nicht zu¬
ruͤckhalten. Was mich betrifft, ſagte er, ſo
will mir dieſe Annaͤherung, dieſe Vermiſchung
des Heiligen zu und mit dem Sinnlichen
keineswegs gefallen, nicht gefallen, daß
man ſich gewiſſe beſondre Raͤume widmet,
weihet und aufſchmuͤckt, um erſt dabey ein
Gefuͤhl der Froͤmmigkeit zu hegen und zu
unterhalten. Keine Umgebung, ſelbſt die ge¬
meinſte nicht, ſoll in uns das Gefuͤhl des
Goͤttlichen ſtoͤren, das uns uͤberall hin beglei¬
ten und jede Staͤtte zu einem Tempel ein¬
weihen kann. Ich mag gern einen Hausgot¬
tesdienſt in dem Saale gehalten ſehen, wo
man zu ſpeiſen, ſich geſellig zu verſammeln,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/130>, abgerufen am 22.11.2024.
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