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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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diente ihr das Betragen Charlottens zu eini¬
ger Beruhigung. Diese suchte das gute Kind
zu beschäftigen und ließ sie nur selten, nur
ungern von sich; und ob sie gleich wohl wußte,
daß man mit Worten nicht viel gegen eine
entschiedene Leidenschaft zu wirken vermag, so
kannte sie doch die Macht der Besonnenheit,
des Bewußtseyns, und brachte daher manches
zwischen sich und Ottilien zur Sprache.

So war es für diese ein großer Trost,
als jene gelegentlich, mit Bedacht und Vor¬
satz, die weise Betrachtung anstellte: Wie leb¬
haft ist, sagte sie, die Dankbarkeit derjenigen
denen wir mit Ruhe über leidenschaftliche
Verlegenheiten hinaushelfen. Laß uns freu¬
dig und munter in das eingreifen, was die
Männer unvollendet zurückgelassen haben; so
bereiten wir uns die schönste Aussicht auf ihre
Rückkehr, indem wir das was ihr stürmendes
ungeduldiges Wesen zerstören möchte, durch
unsre Mäßigung erhalten und fördern.

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diente ihr das Betragen Charlottens zu eini¬
ger Beruhigung. Dieſe ſuchte das gute Kind
zu beſchaͤftigen und ließ ſie nur ſelten, nur
ungern von ſich; und ob ſie gleich wohl wußte,
daß man mit Worten nicht viel gegen eine
entſchiedene Leidenſchaft zu wirken vermag, ſo
kannte ſie doch die Macht der Beſonnenheit,
des Bewußtſeyns, und brachte daher manches
zwiſchen ſich und Ottilien zur Sprache.

So war es fuͤr dieſe ein großer Troſt,
als jene gelegentlich, mit Bedacht und Vor¬
ſatz, die weiſe Betrachtung anſtellte: Wie leb¬
haft iſt, ſagte ſie, die Dankbarkeit derjenigen
denen wir mit Ruhe uͤber leidenſchaftliche
Verlegenheiten hinaushelfen. Laß uns freu¬
dig und munter in das eingreifen, was die
Maͤnner unvollendet zuruͤckgelaſſen haben; ſo
bereiten wir uns die ſchoͤnſte Ausſicht auf ihre
Ruͤckkehr, indem wir das was ihr ſtuͤrmendes
ungeduldiges Weſen zerſtoͤren moͤchte, durch
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18 *
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[275/0280] diente ihr das Betragen Charlottens zu eini¬ ger Beruhigung. Dieſe ſuchte das gute Kind zu beſchaͤftigen und ließ ſie nur ſelten, nur ungern von ſich; und ob ſie gleich wohl wußte, daß man mit Worten nicht viel gegen eine entſchiedene Leidenſchaft zu wirken vermag, ſo kannte ſie doch die Macht der Beſonnenheit, des Bewußtſeyns, und brachte daher manches zwiſchen ſich und Ottilien zur Sprache. So war es fuͤr dieſe ein großer Troſt, als jene gelegentlich, mit Bedacht und Vor¬ ſatz, die weiſe Betrachtung anſtellte: Wie leb¬ haft iſt, ſagte ſie, die Dankbarkeit derjenigen denen wir mit Ruhe uͤber leidenſchaftliche Verlegenheiten hinaushelfen. Laß uns freu¬ dig und munter in das eingreifen, was die Maͤnner unvollendet zuruͤckgelaſſen haben; ſo bereiten wir uns die ſchoͤnſte Ausſicht auf ihre Ruͤckkehr, indem wir das was ihr ſtuͤrmendes ungeduldiges Weſen zerſtoͤren moͤchte, durch unſre Maͤßigung erhalten und foͤrdern. 18 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/280>, abgerufen am 11.05.2024.