Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Verheiratete Frauen, wenn sie sich auch
untereinander nicht lieben, stehen doch still¬
schweigend mit einander, besonders gegen junge
Mädchen, im Bündniß. Die Folgen einer sol¬
chen Zuneigung stellten sich ihrem weltgewand¬
ten Geiste nur allzugeschwind dar. Dazu kam
noch, daß sie schon heute früh mit Charlot¬
ten über Ottilien gesprochen und den Aufent¬
halt dieses Kindes auf dem Lande, besonders
bey seiner stillen Gemüthsart, nicht gebilligt
und den Vorschlag gethan hatte, Ottilien in
die Stadt zu einer Freundinn zu bringen, die
sehr viel an die Erziehung ihrer einzigen
Tochter wende, und sich nur nach einer gut¬
artigen Gespielinn umsehe, die an die zweyte
Kindesstatt eintreten und alle Vortheile mit¬
genießen solle. Charlotte hatte sich's zur Ue¬
berlegung genommen.

Nun aber brachte der Blick in Eduards
Gemüth diesen Vorschlag bey der Baronesse
ganz zur vorsätzlichen Festigkeit, und um so

Verheiratete Frauen, wenn ſie ſich auch
untereinander nicht lieben, ſtehen doch ſtill¬
ſchweigend mit einander, beſonders gegen junge
Maͤdchen, im Buͤndniß. Die Folgen einer ſol¬
chen Zuneigung ſtellten ſich ihrem weltgewand¬
ten Geiſte nur allzugeſchwind dar. Dazu kam
noch, daß ſie ſchon heute fruͤh mit Charlot¬
ten uͤber Ottilien geſprochen und den Aufent¬
halt dieſes Kindes auf dem Lande, beſonders
bey ſeiner ſtillen Gemuͤthsart, nicht gebilligt
und den Vorſchlag gethan hatte, Ottilien in
die Stadt zu einer Freundinn zu bringen, die
ſehr viel an die Erziehung ihrer einzigen
Tochter wende, und ſich nur nach einer gut¬
artigen Geſpielinn umſehe, die an die zweyte
Kindesſtatt eintreten und alle Vortheile mit¬
genießen ſolle. Charlotte hatte ſich's zur Ue¬
berlegung genommen.

Nun aber brachte der Blick in Eduards
Gemuͤth dieſen Vorſchlag bey der Baroneſſe
ganz zur vorſaͤtzlichen Feſtigkeit, und um ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0196" n="191"/>
        <p>Verheiratete Frauen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich auch<lb/>
untereinander nicht lieben, &#x017F;tehen doch &#x017F;till¬<lb/>
&#x017F;chweigend mit einander, be&#x017F;onders gegen junge<lb/>
Ma&#x0364;dchen, im Bu&#x0364;ndniß. Die Folgen einer &#x017F;ol¬<lb/>
chen Zuneigung &#x017F;tellten &#x017F;ich ihrem weltgewand¬<lb/>
ten Gei&#x017F;te nur allzuge&#x017F;chwind dar. Dazu kam<lb/>
noch, daß &#x017F;ie &#x017F;chon heute fru&#x0364;h mit Charlot¬<lb/>
ten u&#x0364;ber Ottilien ge&#x017F;prochen und den Aufent¬<lb/>
halt die&#x017F;es Kindes auf dem Lande, be&#x017F;onders<lb/>
bey &#x017F;einer &#x017F;tillen Gemu&#x0364;thsart, nicht gebilligt<lb/>
und den Vor&#x017F;chlag gethan hatte, Ottilien in<lb/>
die Stadt zu einer Freundinn zu bringen, die<lb/>
&#x017F;ehr viel an die Erziehung ihrer einzigen<lb/>
Tochter wende, und &#x017F;ich nur nach einer gut¬<lb/>
artigen Ge&#x017F;pielinn um&#x017F;ehe, die an die zweyte<lb/>
Kindes&#x017F;tatt eintreten und alle Vortheile mit¬<lb/>
genießen &#x017F;olle. Charlotte hatte &#x017F;ich's zur Ue¬<lb/>
berlegung genommen.</p><lb/>
        <p>Nun aber brachte der Blick in Eduards<lb/>
Gemu&#x0364;th die&#x017F;en Vor&#x017F;chlag bey der Barone&#x017F;&#x017F;e<lb/>
ganz zur vor&#x017F;a&#x0364;tzlichen Fe&#x017F;tigkeit, und um &#x017F;o<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0196] Verheiratete Frauen, wenn ſie ſich auch untereinander nicht lieben, ſtehen doch ſtill¬ ſchweigend mit einander, beſonders gegen junge Maͤdchen, im Buͤndniß. Die Folgen einer ſol¬ chen Zuneigung ſtellten ſich ihrem weltgewand¬ ten Geiſte nur allzugeſchwind dar. Dazu kam noch, daß ſie ſchon heute fruͤh mit Charlot¬ ten uͤber Ottilien geſprochen und den Aufent¬ halt dieſes Kindes auf dem Lande, beſonders bey ſeiner ſtillen Gemuͤthsart, nicht gebilligt und den Vorſchlag gethan hatte, Ottilien in die Stadt zu einer Freundinn zu bringen, die ſehr viel an die Erziehung ihrer einzigen Tochter wende, und ſich nur nach einer gut¬ artigen Geſpielinn umſehe, die an die zweyte Kindesſtatt eintreten und alle Vortheile mit¬ genießen ſolle. Charlotte hatte ſich's zur Ue¬ berlegung genommen. Nun aber brachte der Blick in Eduards Gemuͤth dieſen Vorſchlag bey der Baroneſſe ganz zur vorſaͤtzlichen Feſtigkeit, und um ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/196
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/196>, abgerufen am 24.11.2024.