Gefälligkeit in die Gegend mitging, daß sie nur aus geselliger Pflicht Abends länger drau¬ ßen verweilte, auch wohl manchmal einen Vorwand häuslicher Thätigkeit suchte, um wie¬ der hinein zu gehen. Sehr bald wußte er daher die gemeinschaftlichen Wanderungen so einzurichten, daß man vor Sonnenuntergang wieder zu Hause war, und fing an, was er lange unterlassen hatte, Gedichte vorzulesen, solche besonders, in deren Vortrag der Aus¬ druck einer reinen doch leidenschaftlichen Liebe zu legen war.
Gewöhnlich saßen sie Abends um einen kleinen Tisch, auf hergebrachten Plätzen: Charlotte auf dem Sopha, Ottilie auf einem Sessel gegen ihr über, und die Männer nah¬ men die beyden andern Seiten ein. Ottilie saß Eduarden zur Rechten, wohin er auch das Licht schob, wenn er las. Alsdann rückte sich Ottilie wohl näher, um ins Buch zu sehen: denn auch sie traute ihren eigenen
Gefaͤlligkeit in die Gegend mitging, daß ſie nur aus geſelliger Pflicht Abends laͤnger drau¬ ßen verweilte, auch wohl manchmal einen Vorwand haͤuslicher Thaͤtigkeit ſuchte, um wie¬ der hinein zu gehen. Sehr bald wußte er daher die gemeinſchaftlichen Wanderungen ſo einzurichten, daß man vor Sonnenuntergang wieder zu Hauſe war, und fing an, was er lange unterlaſſen hatte, Gedichte vorzuleſen, ſolche beſonders, in deren Vortrag der Aus¬ druck einer reinen doch leidenſchaftlichen Liebe zu legen war.
Gewoͤhnlich ſaßen ſie Abends um einen kleinen Tiſch, auf hergebrachten Plaͤtzen: Charlotte auf dem Sopha, Ottilie auf einem Seſſel gegen ihr uͤber, und die Maͤnner nah¬ men die beyden andern Seiten ein. Ottilie ſaß Eduarden zur Rechten, wohin er auch das Licht ſchob, wenn er las. Alsdann ruͤckte ſich Ottilie wohl naͤher, um ins Buch zu ſehen: denn auch ſie traute ihren eigenen
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Gefaͤlligkeit in die Gegend mitging, daß ſie
nur aus geſelliger Pflicht Abends laͤnger drau¬
ßen verweilte, auch wohl manchmal einen
Vorwand haͤuslicher Thaͤtigkeit ſuchte, um wie¬
der hinein zu gehen. Sehr bald wußte er
daher die gemeinſchaftlichen Wanderungen ſo
einzurichten, daß man vor Sonnenuntergang
wieder zu Hauſe war, und fing an, was er
lange unterlaſſen hatte, Gedichte vorzuleſen,
ſolche beſonders, in deren Vortrag der Aus¬
druck einer reinen doch leidenſchaftlichen Liebe
zu legen war.
Gewoͤhnlich ſaßen ſie Abends um einen
kleinen Tiſch, auf hergebrachten Plaͤtzen:
Charlotte auf dem Sopha, Ottilie auf einem
Seſſel gegen ihr uͤber, und die Maͤnner nah¬
men die beyden andern Seiten ein. Ottilie
ſaß Eduarden zur Rechten, wohin er auch
das Licht ſchob, wenn er las. Alsdann ruͤckte
ſich Ottilie wohl naͤher, um ins Buch zu
ſehen: denn auch ſie traute ihren eigenen
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/148>, abgerufen am 24.11.2024.
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