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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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Gleich der erste Aufsatz wollte dem Haupt¬
mann, gleich der erste Brief Eduarden nicht
gelingen. Sie quälten sich eine Zeit lang mit
Concipiren und Umschreiben, bis endlich
Eduard, dem es am wenigsten von statten
ging, nach der Zeit fragte.

Da zeigte sich denn, daß der Hauptmann
vergessen hatte seine chronometrische Secunden-
Uhr aufzuziehen, das erstemal seit vielen Jah¬
ren; und sie schienen, wo nicht zu empfin¬
den, doch zu ahnden, daß die Zeit anfange
ihnen gleichgültig zu werden.

Indem so die Männer einigermaßen in
ihrer Geschäftigkeit nachließen, wuchs viel¬
mehr die Thätigkeit der Frauen. Ueberhaupt
nimmt die gewöhnliche Lebensweise einer Fa¬
milie, die aus den gegebenen Personen und
aus nothwendigen Umständen entspringt, auch
wohl eine außerordentliche Neigung, eine
werdende Leidenschaft, in sich wie in ein Ge¬

Gleich der erſte Aufſatz wollte dem Haupt¬
mann, gleich der erſte Brief Eduarden nicht
gelingen. Sie quaͤlten ſich eine Zeit lang mit
Concipiren und Umſchreiben, bis endlich
Eduard, dem es am wenigſten von ſtatten
ging, nach der Zeit fragte.

Da zeigte ſich denn, daß der Hauptmann
vergeſſen hatte ſeine chronometriſche Secunden-
Uhr aufzuziehen, das erſtemal ſeit vielen Jah¬
ren; und ſie ſchienen, wo nicht zu empfin¬
den, doch zu ahnden, daß die Zeit anfange
ihnen gleichguͤltig zu werden.

Indem ſo die Maͤnner einigermaßen in
ihrer Geſchaͤftigkeit nachließen, wuchs viel¬
mehr die Thaͤtigkeit der Frauen. Ueberhaupt
nimmt die gewoͤhnliche Lebensweiſe einer Fa¬
milie, die aus den gegebenen Perſonen und
aus nothwendigen Umſtaͤnden entſpringt, auch
wohl eine außerordentliche Neigung, eine
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[127/0132] Gleich der erſte Aufſatz wollte dem Haupt¬ mann, gleich der erſte Brief Eduarden nicht gelingen. Sie quaͤlten ſich eine Zeit lang mit Concipiren und Umſchreiben, bis endlich Eduard, dem es am wenigſten von ſtatten ging, nach der Zeit fragte. Da zeigte ſich denn, daß der Hauptmann vergeſſen hatte ſeine chronometriſche Secunden- Uhr aufzuziehen, das erſtemal ſeit vielen Jah¬ ren; und ſie ſchienen, wo nicht zu empfin¬ den, doch zu ahnden, daß die Zeit anfange ihnen gleichguͤltig zu werden. Indem ſo die Maͤnner einigermaßen in ihrer Geſchaͤftigkeit nachließen, wuchs viel¬ mehr die Thaͤtigkeit der Frauen. Ueberhaupt nimmt die gewoͤhnliche Lebensweiſe einer Fa¬ milie, die aus den gegebenen Perſonen und aus nothwendigen Umſtaͤnden entſpringt, auch wohl eine außerordentliche Neigung, eine werdende Leidenſchaft, in ſich wie in ein Ge¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/132>, abgerufen am 22.11.2024.