Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.Das war noch nicht alles. Ihre Fräu¬ Ottilie schien gelassen für jeden andern, 7 *
Das war noch nicht alles. Ihre Fraͤu¬ Ottilie ſchien gelaſſen fuͤr jeden andern, 7 *
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0104" n="99"/> <p>Das war noch nicht alles. Ihre Fraͤu¬<lb/> lein Tochter, gnaͤdige Frau, ſonſt lebhaft und<lb/> freymuͤthig, war im Gefuͤhl ihres heutigen<lb/> Triumphs ausgelaſſen und uͤbermuͤthig. Sie<lb/> ſprang mit ihren Preiſen und Zeugniſſen in<lb/> den Zimmern herum, und ſchuͤttelte ſie auch<lb/> Ottilien vor dem Geſicht. Du biſt heute<lb/> ſchlecht gefahren! rief ſie aus. Ganz gelaſſen<lb/> antwortete Ottilie: es iſt noch nicht der letzte<lb/> Pruͤfungstag. Und doch wirſt du immer die<lb/> letzte bleiben! rief die Fraͤulein und ſprang<lb/> hinweg.</p><lb/> <p>Ottilie ſchien gelaſſen fuͤr jeden andern,<lb/> nur nicht fuͤr mich. Eine innre unangenehme<lb/> lebhafte Bewegung, der ſie widerſteht, zeigt<lb/> ſich durch eine ungleiche Farbe des Geſichts.<lb/> Die linke Wange wird auf einen Augenblick<lb/> roth, indem die rechte bleich wird. Ich ſah<lb/> dieß Zeichen und meine Theilnehmung konnte<lb/> ſich nicht zuruͤckhalten. Ich fuͤhrte unſre Vor¬<lb/> ſteherinn bey Seite, ſprach ernſthaft mit ihr<lb/> <fw place="bottom" type="sig">7 *<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0104]
Das war noch nicht alles. Ihre Fraͤu¬
lein Tochter, gnaͤdige Frau, ſonſt lebhaft und
freymuͤthig, war im Gefuͤhl ihres heutigen
Triumphs ausgelaſſen und uͤbermuͤthig. Sie
ſprang mit ihren Preiſen und Zeugniſſen in
den Zimmern herum, und ſchuͤttelte ſie auch
Ottilien vor dem Geſicht. Du biſt heute
ſchlecht gefahren! rief ſie aus. Ganz gelaſſen
antwortete Ottilie: es iſt noch nicht der letzte
Pruͤfungstag. Und doch wirſt du immer die
letzte bleiben! rief die Fraͤulein und ſprang
hinweg.
Ottilie ſchien gelaſſen fuͤr jeden andern,
nur nicht fuͤr mich. Eine innre unangenehme
lebhafte Bewegung, der ſie widerſteht, zeigt
ſich durch eine ungleiche Farbe des Geſichts.
Die linke Wange wird auf einen Augenblick
roth, indem die rechte bleich wird. Ich ſah
dieß Zeichen und meine Theilnehmung konnte
ſich nicht zuruͤckhalten. Ich fuͤhrte unſre Vor¬
ſteherinn bey Seite, ſprach ernſthaft mit ihr
7 *
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/104>, abgerufen am 16.02.2025. |