Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.Torquato Tasso Geblendet, und von mancher LeidenschaftBewegt, durch stille Gänge des Pallasts An deiner Schwester Seite schweigend ging, Dann in das Zimmer trat, wo du uns bald Auf deine Frau'n gelehnt erschienest -- Mir Welch ein Moment war dieser! O! Vergib! Wie den Bezauberten von Rausch und Wahn Der Gottheit Nähe leicht und willig heilt; So war auch ich von aller Phantasie, Von jeder Sucht, von jedem falschen Triebe Mit Einem Blick in deinen Blick geheilt. Wenn unerfahren die Begierde sich Nach tausend Gegenständen sonst verlor, Trat ich beschämt zuerst in mich zurück, Und lernte nun das Wünschenswerthe kennen. So sucht man in dem weiten Sand des Meers Vergebens eine Perle, die verborgen In stillen Schalen eingeschlossen ruht. Prinzessinn. Es fingen schöne Zeiten damals an, Und hätt' uns nicht der Herzog von Urbino Torquato Taſſo Geblendet, und von mancher LeidenſchaftBewegt, durch ſtille Gänge des Pallaſts An deiner Schweſter Seite ſchweigend ging, Dann in das Zimmer trat, wo du uns bald Auf deine Frau’n gelehnt erſchieneſt — Mir Welch ein Moment war dieſer! O! Vergib! Wie den Bezauberten von Rauſch und Wahn Der Gottheit Nähe leicht und willig heilt; So war auch ich von aller Phantaſie, Von jeder Sucht, von jedem falſchen Triebe Mit Einem Blick in deinen Blick geheilt. Wenn unerfahren die Begierde ſich Nach tauſend Gegenſtänden ſonſt verlor, Trat ich beſchämt zuerſt in mich zurück, Und lernte nun das Wünſchenswerthe kennen. So ſucht man in dem weiten Sand des Meers Vergebens eine Perle, die verborgen In ſtillen Schalen eingeſchloſſen ruht. Prinzeſſinn. Es fingen ſchöne Zeiten damals an, Und hätt’ uns nicht der Herzog von Urbino <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#TAS"> <p><pb facs="#f0066" n="58"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Torquato Taſſo</hi></fw><lb/> Geblendet, und von mancher Leidenſchaft<lb/> Bewegt, durch ſtille Gänge des Pallaſts<lb/> An deiner Schweſter Seite ſchweigend ging,<lb/> Dann in das Zimmer trat, wo du uns bald<lb/> Auf deine Frau’n gelehnt erſchieneſt — Mir<lb/> Welch ein Moment war dieſer! O! Vergib!<lb/> Wie den Bezauberten von Rauſch und Wahn<lb/> Der Gottheit Nähe leicht und willig heilt;<lb/> So war auch ich von aller Phantaſie,<lb/> Von jeder Sucht, von jedem falſchen Triebe<lb/> Mit Einem Blick in deinen Blick geheilt.<lb/> Wenn unerfahren die Begierde ſich<lb/> Nach tauſend Gegenſtänden ſonſt verlor,<lb/> Trat ich beſchämt zuerſt in mich zurück,<lb/> Und lernte nun das Wünſchenswerthe kennen.<lb/> So ſucht man in dem weiten Sand des Meers<lb/> Vergebens eine Perle, die verborgen<lb/> In ſtillen Schalen eingeſchloſſen ruht.</p> </sp><lb/> <sp who="#PRI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſinn</hi>.</speaker><lb/> <p>Es fingen ſchöne Zeiten damals an,<lb/> Und hätt’ uns nicht der Herzog von Urbino<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0066]
Torquato Taſſo
Geblendet, und von mancher Leidenſchaft
Bewegt, durch ſtille Gänge des Pallaſts
An deiner Schweſter Seite ſchweigend ging,
Dann in das Zimmer trat, wo du uns bald
Auf deine Frau’n gelehnt erſchieneſt — Mir
Welch ein Moment war dieſer! O! Vergib!
Wie den Bezauberten von Rauſch und Wahn
Der Gottheit Nähe leicht und willig heilt;
So war auch ich von aller Phantaſie,
Von jeder Sucht, von jedem falſchen Triebe
Mit Einem Blick in deinen Blick geheilt.
Wenn unerfahren die Begierde ſich
Nach tauſend Gegenſtänden ſonſt verlor,
Trat ich beſchämt zuerſt in mich zurück,
Und lernte nun das Wünſchenswerthe kennen.
So ſucht man in dem weiten Sand des Meers
Vergebens eine Perle, die verborgen
In ſtillen Schalen eingeſchloſſen ruht.
Prinzeſſinn.
Es fingen ſchöne Zeiten damals an,
Und hätt’ uns nicht der Herzog von Urbino
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