Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.Torquato Tasso Antonio. Und wenn du ganz dich zu verlieren scheinst, Vergleiche dich! Erkenne was du bist! Tasso. Ja, du erinnerst mich zur rechten Zeit! -- Hilft denn kein Beyspiel der Geschichte mehr? Stellt sich kein edler Mann mir vor die Augen, Der mehr gelitten, als ich jemals litt; Damit ich mich mit ihm vergleichend fasse? Nein, Alles ist dahin! -- Nur Eines bleibt: Die Thräne hat uns die Natur verliehen, Den Schrey des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt Es nicht mehr trägt -- Und mir noch über alles -- Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede, Die tiefste Fülle meiner Noth zu klagen: Torquato Taſſo Antonio. Und wenn du ganz dich zu verlieren ſcheinſt, Vergleiche dich! Erkenne was du biſt! Taſſo. Ja, du erinnerſt mich zur rechten Zeit! — Hilft denn kein Beyſpiel der Geſchichte mehr? Stellt ſich kein edler Mann mir vor die Augen, Der mehr gelitten, als ich jemals litt; Damit ich mich mit ihm vergleichend faſſe? Nein, Alles iſt dahin! — Nur Eines bleibt: Die Thräne hat uns die Natur verliehen, Den Schrey des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt Es nicht mehr trägt — Und mir noch über alles — Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede, Die tiefſte Fülle meiner Noth zu klagen: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0228" n="220"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Torquato Taſſo</hi> </fw><lb/> <sp who="#ANT"> <speaker><hi rendition="#g">Antonio</hi>.</speaker><lb/> <p>Und wenn du ganz dich zu verlieren ſcheinſt,<lb/> Vergleiche dich! Erkenne was du biſt!</p> </sp><lb/> <sp who="#TAS"> <speaker><hi rendition="#g">Taſſo</hi>.</speaker><lb/> <p>Ja, du erinnerſt mich zur rechten Zeit! —<lb/> Hilft denn kein Beyſpiel der Geſchichte<lb/> mehr?<lb/> Stellt ſich kein edler Mann mir vor die<lb/> Augen,<lb/> Der mehr gelitten, als ich jemals litt;<lb/> Damit ich mich mit ihm vergleichend faſſe?<lb/> Nein, Alles iſt dahin! — Nur Eines bleibt:<lb/> Die Thräne hat uns die Natur verliehen,<lb/> Den Schrey des Schmerzens, wenn der Mann<lb/> zuletzt<lb/> Es nicht mehr trägt — Und mir noch über<lb/> alles —<lb/> Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede,<lb/> Die tiefſte Fülle meiner Noth zu klagen:<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [220/0228]
Torquato Taſſo
Antonio.
Und wenn du ganz dich zu verlieren ſcheinſt,
Vergleiche dich! Erkenne was du biſt!
Taſſo.
Ja, du erinnerſt mich zur rechten Zeit! —
Hilft denn kein Beyſpiel der Geſchichte
mehr?
Stellt ſich kein edler Mann mir vor die
Augen,
Der mehr gelitten, als ich jemals litt;
Damit ich mich mit ihm vergleichend faſſe?
Nein, Alles iſt dahin! — Nur Eines bleibt:
Die Thräne hat uns die Natur verliehen,
Den Schrey des Schmerzens, wenn der Mann
zuletzt
Es nicht mehr trägt — Und mir noch über
alles —
Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede,
Die tiefſte Fülle meiner Noth zu klagen:
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