Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.Torquato Tasso In seiner Welt genug, und alles ringsUmher verschwindet ihm. Er läßt es gehn, Läßt's fallen, stößt's hinweg und ruht in sich -- Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke Die Mine zündet, sey es Freude, Leid, Zorn oder Grille, heftig bricht er aus: Dann will er Alles fassen, Alles halten, Dann soll geschehn, was er sich denken mag; In einem Augenblicke soll entstehn, Was Jahre lang bereitet werden sollte, In einem Augenblick gehoben seyn, Was Mühe kaum in Jahren lösen könnte. Er fordert das Unmögliche von sich, Damit er es von andern fordern dürfe Die letzten Enden aller Dinge will Sein Geist zusammen fassen; das gelingt Kaum Einem unter Millionen Menschen, Und er ist nicht der Mann: er fällt zuletzt, Um nichts gebessert, in sich selbst zurück. Leonore. Er schadet andern nicht, er schadet sich. Torquato Taſſo In ſeiner Welt genug, und alles ringsUmher verſchwindet ihm. Er läßt es gehn, Läßt’s fallen, ſtößt’s hinweg und ruht in ſich — Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke Die Mine zündet, ſey es Freude, Leid, Zorn oder Grille, heftig bricht er aus: Dann will er Alles faſſen, Alles halten, Dann ſoll geſchehn, was er ſich denken mag; In einem Augenblicke ſoll entſtehn, Was Jahre lang bereitet werden ſollte, In einem Augenblick gehoben ſeyn, Was Mühe kaum in Jahren löſen könnte. Er fordert das Unmögliche von ſich, Damit er es von andern fordern dürfe Die letzten Enden aller Dinge will Sein Geiſt zuſammen faſſen; das gelingt Kaum Einem unter Millionen Menſchen, Und er iſt nicht der Mann: er fällt zuletzt, Um nichts gebeſſert, in ſich ſelbſt zurück. Leonore. Er ſchadet andern nicht, er ſchadet ſich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#ANT"> <p><pb facs="#f0144" n="136"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Torquato Taſſo</hi></fw><lb/> In ſeiner Welt genug, und alles rings<lb/> Umher verſchwindet ihm. Er läßt es gehn,<lb/> Läßt’s fallen, ſtößt’s hinweg und ruht in ſich —<lb/> Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke<lb/> Die Mine zündet, ſey es Freude, Leid,<lb/> Zorn oder Grille, heftig bricht er aus:<lb/> Dann will er Alles faſſen, Alles halten,<lb/> Dann ſoll geſchehn, was er ſich denken mag;<lb/> In einem Augenblicke ſoll entſtehn,<lb/> Was Jahre lang bereitet werden ſollte,<lb/> In einem Augenblick gehoben ſeyn,<lb/> Was Mühe kaum in Jahren löſen könnte.<lb/> Er fordert das Unmögliche von ſich,<lb/> Damit er es von andern fordern dürfe<lb/> Die letzten Enden aller Dinge will<lb/> Sein Geiſt zuſammen faſſen; das gelingt<lb/> Kaum Einem unter Millionen Menſchen,<lb/> Und er iſt nicht der Mann: er fällt zuletzt,<lb/> Um nichts gebeſſert, in ſich ſelbſt zurück.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker><hi rendition="#g">Leonore</hi>.</speaker><lb/> <p>Er ſchadet andern nicht, er ſchadet ſich.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [136/0144]
Torquato Taſſo
In ſeiner Welt genug, und alles rings
Umher verſchwindet ihm. Er läßt es gehn,
Läßt’s fallen, ſtößt’s hinweg und ruht in ſich —
Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke
Die Mine zündet, ſey es Freude, Leid,
Zorn oder Grille, heftig bricht er aus:
Dann will er Alles faſſen, Alles halten,
Dann ſoll geſchehn, was er ſich denken mag;
In einem Augenblicke ſoll entſtehn,
Was Jahre lang bereitet werden ſollte,
In einem Augenblick gehoben ſeyn,
Was Mühe kaum in Jahren löſen könnte.
Er fordert das Unmögliche von ſich,
Damit er es von andern fordern dürfe
Die letzten Enden aller Dinge will
Sein Geiſt zuſammen faſſen; das gelingt
Kaum Einem unter Millionen Menſchen,
Und er iſt nicht der Mann: er fällt zuletzt,
Um nichts gebeſſert, in ſich ſelbſt zurück.
Leonore.
Er ſchadet andern nicht, er ſchadet ſich.
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