Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.Ein Schauspiel. Mein erster Blick hinab in unsre GärtenSucht ihn vergebens in dem Thau der Schat- ten. Wie schön befriedigt fühlte sich der Wunsch Mit ihm zu seyn an jedem heitern Abend! Wie mehrte sich im Umgang das Verlangen Sich mehr zu kennen, mehr sich zu verstehn, Und täglich stimmte das Gemüth sich schöner Zu immer reinern Harmonien auf. Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein! Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl Des hohen Tags, der tausendfachen Welt Glanzreiche Gegenwart, ist öd' und tief Im Nebel eingehüllt, der mich umgibt. Sonst war mir jeder Tag ein ganzes Leben; Die Sorge schwieg, die Ahndung selbst ver- stummte, Und glücklich eingeschifft trug uns der Strom Auf leichten Wellen ohne Ruder hin: Nun überfällt in trüber Gegenwart Der Zukunft Schrecken heimlich meine Brust. Ein Schauſpiel. Mein erſter Blick hinab in unſre GärtenSucht ihn vergebens in dem Thau der Schat- ten. Wie ſchön befriedigt fühlte ſich der Wunſch Mit ihm zu ſeyn an jedem heitern Abend! Wie mehrte ſich im Umgang das Verlangen Sich mehr zu kennen, mehr ſich zu verſtehn, Und täglich ſtimmte das Gemüth ſich ſchöner Zu immer reinern Harmonien auf. Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein! Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl Des hohen Tags, der tauſendfachen Welt Glanzreiche Gegenwart, iſt öd’ und tief Im Nebel eingehüllt, der mich umgibt. Sonſt war mir jeder Tag ein ganzes Leben; Die Sorge ſchwieg, die Ahndung ſelbſt ver- ſtummte, Und glücklich eingeſchifft trug uns der Strom Auf leichten Wellen ohne Ruder hin: Nun überfällt in trüber Gegenwart Der Zukunft Schrecken heimlich meine Bruſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#PRI"> <p><pb facs="#f0129" n="121"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ein Schauſpiel</hi>.</fw><lb/> Mein erſter Blick hinab in unſre Gärten<lb/> Sucht ihn vergebens in dem Thau der Schat-<lb/> ten.<lb/> Wie ſchön befriedigt fühlte ſich der Wunſch<lb/> Mit ihm zu ſeyn an jedem heitern Abend!<lb/> Wie mehrte ſich im Umgang das Verlangen<lb/> Sich mehr zu kennen, mehr ſich zu verſtehn,<lb/> Und täglich ſtimmte das Gemüth ſich ſchöner<lb/> Zu immer reinern Harmonien auf.<lb/> Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein!<lb/> Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl<lb/> Des hohen Tags, der tauſendfachen Welt<lb/> Glanzreiche Gegenwart, iſt öd’ und tief<lb/> Im Nebel eingehüllt, der mich umgibt.<lb/> Sonſt war mir jeder Tag ein ganzes Leben;<lb/> Die Sorge ſchwieg, die Ahndung ſelbſt ver-<lb/> ſtummte,<lb/> Und glücklich eingeſchifft trug uns der Strom<lb/> Auf leichten Wellen ohne Ruder hin:<lb/> Nun überfällt in trüber Gegenwart<lb/> Der Zukunft Schrecken heimlich meine<lb/> Bruſt.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [121/0129]
Ein Schauſpiel.
Mein erſter Blick hinab in unſre Gärten
Sucht ihn vergebens in dem Thau der Schat-
ten.
Wie ſchön befriedigt fühlte ſich der Wunſch
Mit ihm zu ſeyn an jedem heitern Abend!
Wie mehrte ſich im Umgang das Verlangen
Sich mehr zu kennen, mehr ſich zu verſtehn,
Und täglich ſtimmte das Gemüth ſich ſchöner
Zu immer reinern Harmonien auf.
Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein!
Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl
Des hohen Tags, der tauſendfachen Welt
Glanzreiche Gegenwart, iſt öd’ und tief
Im Nebel eingehüllt, der mich umgibt.
Sonſt war mir jeder Tag ein ganzes Leben;
Die Sorge ſchwieg, die Ahndung ſelbſt ver-
ſtummte,
Und glücklich eingeſchifft trug uns der Strom
Auf leichten Wellen ohne Ruder hin:
Nun überfällt in trüber Gegenwart
Der Zukunft Schrecken heimlich meine
Bruſt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |