Goethe, Johann Wolfgang von: Die neue Melusine. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.versetzte lächelnd: Wollen Sie sich meinem Dienste widmen, so hören Sie die Bedingungen! Ich komme hierher, eine Freundin zu besuchen, bei der ich einige Tage zu verweilen gedenke; indessen wünsche ich, daß mein Wagen und dies Kästchen weiter gebracht werden. Wollen Sie es übernehmen? Sie haben dabei nichts zu thun, als das Kästchen mit Behutsamkeit in und aus dem Wagen zu heben, sich daneben zu setzen und jede Sorge dafür zu tragen. Kommen Sie in ein Wirthshaus, so wird es auf einen Tisch gestellt, in eine besondere Stube, in der Sie weder wohnen noch schlafen dürfen. Sie verschließen die Zimmer jedesmal mit diesem Schlüssel, der alle Schlösser auf- und zuschließt und dem Schlosse die besondere Eigenschaft giebt, daß es Niemand in der Zwischenzeit zu eröffnen im Stande ist. Ich sah sie an, mir ward sonderbar zu Muthe; ich versprach Alles zu thun, wenn ich hoffen könnte, sie bald wieder zu sehen, und wenn sie mir diese Hoffnung mit einem Kuß besiegelte. Sie that es, und von dem Augenblicke an war ich ihr ganz leibeigen geworden. Ich sollte nun die Pferde bestellen, sagte sie. Wir besprachen den Weg, den ich nehmen, die Orte, wo ich mich aufhalten und sie erwarten sollte. Sie drückte mir zuletzt einen Beutel mit Gold in die Hand, und ich meine Lippen auf ihre Hände. Sie schien gerührt beim Abschied, und ich wußte schon nicht mehr, was ich that oder thun sollte. Als ich von meiner Bestellung zurückkam, fand ich versetzte lächelnd: Wollen Sie sich meinem Dienste widmen, so hören Sie die Bedingungen! Ich komme hierher, eine Freundin zu besuchen, bei der ich einige Tage zu verweilen gedenke; indessen wünsche ich, daß mein Wagen und dies Kästchen weiter gebracht werden. Wollen Sie es übernehmen? Sie haben dabei nichts zu thun, als das Kästchen mit Behutsamkeit in und aus dem Wagen zu heben, sich daneben zu setzen und jede Sorge dafür zu tragen. Kommen Sie in ein Wirthshaus, so wird es auf einen Tisch gestellt, in eine besondere Stube, in der Sie weder wohnen noch schlafen dürfen. Sie verschließen die Zimmer jedesmal mit diesem Schlüssel, der alle Schlösser auf- und zuschließt und dem Schlosse die besondere Eigenschaft giebt, daß es Niemand in der Zwischenzeit zu eröffnen im Stande ist. Ich sah sie an, mir ward sonderbar zu Muthe; ich versprach Alles zu thun, wenn ich hoffen könnte, sie bald wieder zu sehen, und wenn sie mir diese Hoffnung mit einem Kuß besiegelte. Sie that es, und von dem Augenblicke an war ich ihr ganz leibeigen geworden. Ich sollte nun die Pferde bestellen, sagte sie. Wir besprachen den Weg, den ich nehmen, die Orte, wo ich mich aufhalten und sie erwarten sollte. Sie drückte mir zuletzt einen Beutel mit Gold in die Hand, und ich meine Lippen auf ihre Hände. Sie schien gerührt beim Abschied, und ich wußte schon nicht mehr, was ich that oder thun sollte. Als ich von meiner Bestellung zurückkam, fand ich <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0016"/> versetzte lächelnd: Wollen Sie sich meinem Dienste widmen, so hören Sie die Bedingungen! Ich komme hierher, eine Freundin zu besuchen, bei der ich einige Tage zu verweilen gedenke; indessen wünsche ich, daß mein Wagen und dies Kästchen weiter gebracht werden. Wollen Sie es übernehmen? Sie haben dabei nichts zu thun, als das Kästchen mit Behutsamkeit in und aus dem Wagen zu heben, sich daneben zu setzen und jede Sorge dafür zu tragen. Kommen Sie in ein Wirthshaus, so wird es auf einen Tisch gestellt, in eine besondere Stube, in der Sie weder wohnen noch schlafen dürfen. Sie verschließen die Zimmer jedesmal mit diesem Schlüssel, der alle Schlösser auf- und zuschließt und dem Schlosse die besondere Eigenschaft giebt, daß es Niemand in der Zwischenzeit zu eröffnen im Stande ist.</p><lb/> <p>Ich sah sie an, mir ward sonderbar zu Muthe; ich versprach Alles zu thun, wenn ich hoffen könnte, sie bald wieder zu sehen, und wenn sie mir diese Hoffnung mit einem Kuß besiegelte. Sie that es, und von dem Augenblicke an war ich ihr ganz leibeigen geworden. Ich sollte nun die Pferde bestellen, sagte sie. Wir besprachen den Weg, den ich nehmen, die Orte, wo ich mich aufhalten und sie erwarten sollte. Sie drückte mir zuletzt einen Beutel mit Gold in die Hand, und ich meine Lippen auf ihre Hände. Sie schien gerührt beim Abschied, und ich wußte schon nicht mehr, was ich that oder thun sollte.</p><lb/> <p>Als ich von meiner Bestellung zurückkam, fand ich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
versetzte lächelnd: Wollen Sie sich meinem Dienste widmen, so hören Sie die Bedingungen! Ich komme hierher, eine Freundin zu besuchen, bei der ich einige Tage zu verweilen gedenke; indessen wünsche ich, daß mein Wagen und dies Kästchen weiter gebracht werden. Wollen Sie es übernehmen? Sie haben dabei nichts zu thun, als das Kästchen mit Behutsamkeit in und aus dem Wagen zu heben, sich daneben zu setzen und jede Sorge dafür zu tragen. Kommen Sie in ein Wirthshaus, so wird es auf einen Tisch gestellt, in eine besondere Stube, in der Sie weder wohnen noch schlafen dürfen. Sie verschließen die Zimmer jedesmal mit diesem Schlüssel, der alle Schlösser auf- und zuschließt und dem Schlosse die besondere Eigenschaft giebt, daß es Niemand in der Zwischenzeit zu eröffnen im Stande ist.
Ich sah sie an, mir ward sonderbar zu Muthe; ich versprach Alles zu thun, wenn ich hoffen könnte, sie bald wieder zu sehen, und wenn sie mir diese Hoffnung mit einem Kuß besiegelte. Sie that es, und von dem Augenblicke an war ich ihr ganz leibeigen geworden. Ich sollte nun die Pferde bestellen, sagte sie. Wir besprachen den Weg, den ich nehmen, die Orte, wo ich mich aufhalten und sie erwarten sollte. Sie drückte mir zuletzt einen Beutel mit Gold in die Hand, und ich meine Lippen auf ihre Hände. Sie schien gerührt beim Abschied, und ich wußte schon nicht mehr, was ich that oder thun sollte.
Als ich von meiner Bestellung zurückkam, fand ich
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die neue Melusine. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_melusine_1910/16>, abgerufen am 05.07.2024. |