Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

ihre Äußerung, und fügte hinzu, daß zwar
der Verstand der Männer sich nach Haus¬
hälterinnen umsehe, daß aber ihr Herz und
ihre Einbildungskraft sich nach andern Ei¬
genschaften sehne, und daß wir Haushälte¬
rinnen eigentlich gegen die liebenswürdigen
und reizenden Mädchen keinen Wettstreit
aushalten können. Diese Worte sagte ich
Lydien zum Gehör, denn sie verbarg nicht,
daß Lothario großen Eindruck auf sie ge¬
macht habe, und auch er schien bey jedem
neuen Besuch immer aufmerksamer auf sie
zu werden. Sie war arm, sie war nicht
von Stande, sie konnte an keine Heirath
mit ihm denken, aber sie konnte der Wonne
nicht widerstehen, zu reizen und gereizt zu
werden. Ich hatte nie geliebt und liebte
auch jetzt nicht; ob es mir schon unendlich
angenehm war, zu sehen, wohin meine Na¬
tur von einem so verehrten Manne gestellt

ihre Äußerung, und fügte hinzu, daß zwar
der Verſtand der Männer ſich nach Haus¬
hälterinnen umſehe, daß aber ihr Herz und
ihre Einbildungskraft ſich nach andern Ei¬
genſchaften ſehne, und daß wir Haushälte¬
rinnen eigentlich gegen die liebenswürdigen
und reizenden Mädchen keinen Wettſtreit
aushalten können. Dieſe Worte ſagte ich
Lydien zum Gehör, denn ſie verbarg nicht,
daß Lothario großen Eindruck auf ſie ge¬
macht habe, und auch er ſchien bey jedem
neuen Beſuch immer aufmerkſamer auf ſie
zu werden. Sie war arm, ſie war nicht
von Stande, ſie konnte an keine Heirath
mit ihm denken, aber ſie konnte der Wonne
nicht widerſtehen, zu reizen und gereizt zu
werden. Ich hatte nie geliebt und liebte
auch jetzt nicht; ob es mir ſchon unendlich
angenehm war, zu ſehen, wohin meine Na¬
tur von einem ſo verehrten Manne geſtellt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0098" n="94"/>
ihre Äußerung, und fügte hinzu, daß zwar<lb/>
der Ver&#x017F;tand der Männer &#x017F;ich nach Haus¬<lb/>
hälterinnen um&#x017F;ehe, daß aber ihr Herz und<lb/>
ihre Einbildungskraft &#x017F;ich nach andern Ei¬<lb/>
gen&#x017F;chaften &#x017F;ehne, und daß wir Haushälte¬<lb/>
rinnen eigentlich gegen die liebenswürdigen<lb/>
und reizenden Mädchen keinen Wett&#x017F;treit<lb/>
aushalten können. Die&#x017F;e Worte &#x017F;agte ich<lb/>
Lydien zum Gehör, denn &#x017F;ie verbarg nicht,<lb/>
daß Lothario großen Eindruck auf &#x017F;ie ge¬<lb/>
macht habe, und auch er &#x017F;chien bey jedem<lb/>
neuen Be&#x017F;uch immer aufmerk&#x017F;amer auf &#x017F;ie<lb/>
zu werden. Sie war arm, &#x017F;ie war nicht<lb/>
von Stande, &#x017F;ie konnte an keine Heirath<lb/>
mit ihm denken, aber &#x017F;ie konnte der Wonne<lb/>
nicht wider&#x017F;tehen, zu reizen und gereizt zu<lb/>
werden. Ich hatte nie geliebt und liebte<lb/>
auch jetzt nicht; ob es mir &#x017F;chon unendlich<lb/>
angenehm war, zu &#x017F;ehen, wohin meine Na¬<lb/>
tur von einem &#x017F;o verehrten Manne ge&#x017F;tellt<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0098] ihre Äußerung, und fügte hinzu, daß zwar der Verſtand der Männer ſich nach Haus¬ hälterinnen umſehe, daß aber ihr Herz und ihre Einbildungskraft ſich nach andern Ei¬ genſchaften ſehne, und daß wir Haushälte¬ rinnen eigentlich gegen die liebenswürdigen und reizenden Mädchen keinen Wettſtreit aushalten können. Dieſe Worte ſagte ich Lydien zum Gehör, denn ſie verbarg nicht, daß Lothario großen Eindruck auf ſie ge¬ macht habe, und auch er ſchien bey jedem neuen Beſuch immer aufmerkſamer auf ſie zu werden. Sie war arm, ſie war nicht von Stande, ſie konnte an keine Heirath mit ihm denken, aber ſie konnte der Wonne nicht widerſtehen, zu reizen und gereizt zu werden. Ich hatte nie geliebt und liebte auch jetzt nicht; ob es mir ſchon unendlich angenehm war, zu ſehen, wohin meine Na¬ tur von einem ſo verehrten Manne geſtellt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/98
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/98>, abgerufen am 17.05.2024.