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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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werben, daß sie endlich wie eine arme Sün¬
derinn ihren Nacken dem Beil willig dar¬
reichte, und inständig bat, daß man sie auf
ewig von unserm Bruder entfernen möchte.
Als man so viel von ihr erlangt hatte, ließ
man ihr, doch unter einer gewissen Aufsicht,
die Freiheit, bald in ihrer Wohnung, bald
in dem Kloster zu seyn, je nachdem sie es
für gut hielte.

Ihr Kind wuchs heran, und zeigte bald
eine sonderbare Natur. Es konnte sehr früh
laufen, und sich mit aller Geschicklichkeit be¬
wegen, es sang bald sehr artig, und lernte
die Zither gleichsam von sich selbst. Nur
mit Worten konnte es sich nicht ausdrücken,
und es schien das Hindernis mehr in seiner
Denkungsart als in den Sprachwerkzeugen
zu liegen. Die arme Mutter fühlte indessen
ein trauriges Verhältnis zu dem Kinde, die
Behandlung des Geistlichen hatte ihre Vor¬

werben, daß ſie endlich wie eine arme Sün¬
derinn ihren Nacken dem Beil willig dar¬
reichte, und inſtändig bat, daß man ſie auf
ewig von unſerm Bruder entfernen möchte.
Als man ſo viel von ihr erlangt hatte, ließ
man ihr, doch unter einer gewiſſen Aufſicht,
die Freiheit, bald in ihrer Wohnung, bald
in dem Kloſter zu ſeyn, je nachdem ſie es
für gut hielte.

Ihr Kind wuchs heran, und zeigte bald
eine ſonderbare Natur. Es konnte ſehr früh
laufen, und ſich mit aller Geſchicklichkeit be¬
wegen, es ſang bald ſehr artig, und lernte
die Zither gleichſam von ſich ſelbſt. Nur
mit Worten konnte es ſich nicht ausdrücken,
und es ſchien das Hindernis mehr in ſeiner
Denkungsart als in den Sprachwerkzeugen
zu liegen. Die arme Mutter fühlte indeſſen
ein trauriges Verhältnis zu dem Kinde, die
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[445/0449] werben, daß ſie endlich wie eine arme Sün¬ derinn ihren Nacken dem Beil willig dar¬ reichte, und inſtändig bat, daß man ſie auf ewig von unſerm Bruder entfernen möchte. Als man ſo viel von ihr erlangt hatte, ließ man ihr, doch unter einer gewiſſen Aufſicht, die Freiheit, bald in ihrer Wohnung, bald in dem Kloſter zu ſeyn, je nachdem ſie es für gut hielte. Ihr Kind wuchs heran, und zeigte bald eine ſonderbare Natur. Es konnte ſehr früh laufen, und ſich mit aller Geſchicklichkeit be¬ wegen, es ſang bald ſehr artig, und lernte die Zither gleichſam von ſich ſelbſt. Nur mit Worten konnte es ſich nicht ausdrücken, und es ſchien das Hindernis mehr in ſeiner Denkungsart als in den Sprachwerkzeugen zu liegen. Die arme Mutter fühlte indeſſen ein trauriges Verhältnis zu dem Kinde, die Behandlung des Geiſtlichen hatte ihre Vor¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/449>, abgerufen am 22.11.2024.