Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

da in deinem Herzen alle Empfindungen zu¬
sammentreffen, die den Menschen glücklich
machen sollten, jetzt bist du genöthigt zu
fliehen! Ach! warum muß sich zu diesen
Empfindungen, zu diesen Erkenntnissen das
unüberwindliche Verlangen des Besitzes ge¬
sellen? und warum richten, ohne Besitz, eben
diese Empfindungen, diese Überzeugungen
jede andere Art von Glückseligkeit völlig zu
Grunde? Werde ich künftig der Sonne und
der Welt, der Gesellschaft oder irgend eines
Glücksgutes genießen? wirst du nicht immer
zu dir sagen: Natalie ist nicht da! und doch
wird leider Natalie dir immer gegenwärtig
seyn. Schließest du die Augen, so wird sie
sich dir darstellen; öfnest du sie, so wird sie
vor allen Gegenständen hinschweben, wie
die Erscheinung, die ein blendendes Bild im
Auge zurück läßt. War nicht schon früher
die schnell vorübergegangene Gestalt der

da in deinem Herzen alle Empfindungen zu¬
ſammentreffen, die den Menſchen glücklich
machen ſollten, jetzt biſt du genöthigt zu
fliehen! Ach! warum muß ſich zu dieſen
Empfindungen, zu dieſen Erkenntniſſen das
unüberwindliche Verlangen des Beſitzes ge¬
ſellen? und warum richten, ohne Beſitz, eben
dieſe Empfindungen, dieſe Überzeugungen
jede andere Art von Glückſeligkeit völlig zu
Grunde? Werde ich künftig der Sonne und
der Welt, der Geſellſchaft oder irgend eines
Glücksgutes genießen? wirſt du nicht immer
zu dir ſagen: Natalie iſt nicht da! und doch
wird leider Natalie dir immer gegenwärtig
ſeyn. Schließeſt du die Augen, ſo wird ſie
ſich dir darſtellen; öfneſt du ſie, ſo wird ſie
vor allen Gegenſtänden hinſchweben, wie
die Erſcheinung, die ein blendendes Bild im
Auge zurück läßt. War nicht ſchon früher
die ſchnell vorübergegangene Geſtalt der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0401" n="397"/>
da in deinem Herzen alle Empfindungen zu¬<lb/>
&#x017F;ammentreffen, die den Men&#x017F;chen glücklich<lb/>
machen &#x017F;ollten, jetzt bi&#x017F;t du genöthigt zu<lb/>
fliehen! Ach! warum muß &#x017F;ich zu die&#x017F;en<lb/>
Empfindungen, zu die&#x017F;en Erkenntni&#x017F;&#x017F;en das<lb/>
unüberwindliche Verlangen des Be&#x017F;itzes ge¬<lb/>
&#x017F;ellen? und warum richten, ohne Be&#x017F;itz, eben<lb/>
die&#x017F;e Empfindungen, die&#x017F;e Überzeugungen<lb/>
jede andere Art von Glück&#x017F;eligkeit völlig zu<lb/>
Grunde? Werde ich künftig der Sonne und<lb/>
der Welt, der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft oder irgend eines<lb/>
Glücksgutes genießen? wir&#x017F;t du nicht immer<lb/>
zu dir &#x017F;agen: Natalie i&#x017F;t nicht da! und doch<lb/>
wird leider Natalie dir immer gegenwärtig<lb/>
&#x017F;eyn. Schließe&#x017F;t du die Augen, &#x017F;o wird &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich dir dar&#x017F;tellen; öfne&#x017F;t du &#x017F;ie, &#x017F;o wird &#x017F;ie<lb/>
vor allen Gegen&#x017F;tänden hin&#x017F;chweben, wie<lb/>
die Er&#x017F;cheinung, die ein blendendes Bild im<lb/>
Auge zurück läßt. War nicht &#x017F;chon früher<lb/>
die &#x017F;chnell vorübergegangene Ge&#x017F;talt der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0401] da in deinem Herzen alle Empfindungen zu¬ ſammentreffen, die den Menſchen glücklich machen ſollten, jetzt biſt du genöthigt zu fliehen! Ach! warum muß ſich zu dieſen Empfindungen, zu dieſen Erkenntniſſen das unüberwindliche Verlangen des Beſitzes ge¬ ſellen? und warum richten, ohne Beſitz, eben dieſe Empfindungen, dieſe Überzeugungen jede andere Art von Glückſeligkeit völlig zu Grunde? Werde ich künftig der Sonne und der Welt, der Geſellſchaft oder irgend eines Glücksgutes genießen? wirſt du nicht immer zu dir ſagen: Natalie iſt nicht da! und doch wird leider Natalie dir immer gegenwärtig ſeyn. Schließeſt du die Augen, ſo wird ſie ſich dir darſtellen; öfneſt du ſie, ſo wird ſie vor allen Gegenſtänden hinſchweben, wie die Erſcheinung, die ein blendendes Bild im Auge zurück läßt. War nicht ſchon früher die ſchnell vorübergegangene Geſtalt der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/401
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/401>, abgerufen am 23.11.2024.