kann nicht loben, daß Schmerz und Nei¬ gung die Erinnerung an meinen Bruder völ¬ lig aus euren Herzen zu verbannen scheint. Wilhelm riß sich bey diesen Worten aus den Armen Theresens. Wo wollen Sie hin, riefen beyde Frauen. Lassen Sie mich das Kind sehen, rief er aus, das ich getödtet habe. Das Unglück, das wir mit Augen sehen, ist geringer, als wenn unsere Einbil¬ dungskraft das Übel gewaltsam in unser Ge¬ müth einsenkt, lassen Sie uns den abgeschie¬ denen Engel sehen! seine heitere Mine wird uns sagen, daß ihm wohl ist! Da die Freun¬ dinnen den bewegten Jüngling nicht abhal¬ ten konnten, folgten sie ihm, aber der gute Arzt, der mit dem Chirurgus ihnen entge¬ gen kam, hielt sie ab sich der Verblichenen zu nähern, und sagte: Halten Sie Sich von diesem traurigen Gegenstande entfernt, und erlauben Sie mir, daß ich den Resten
W. Meisters Lehrj. 4. Y
kann nicht loben, daß Schmerz und Nei¬ gung die Erinnerung an meinen Bruder völ¬ lig aus euren Herzen zu verbannen ſcheint. Wilhelm riß ſich bey dieſen Worten aus den Armen Thereſens. Wo wollen Sie hin, riefen beyde Frauen. Laſſen Sie mich das Kind ſehen, rief er aus, das ich getödtet habe. Das Unglück, das wir mit Augen ſehen, iſt geringer, als wenn unſere Einbil¬ dungskraft das Übel gewaltſam in unſer Ge¬ müth einſenkt, laſſen Sie uns den abgeſchie¬ denen Engel ſehen! ſeine heitere Mine wird uns ſagen, daß ihm wohl iſt! Da die Freun¬ dinnen den bewegten Jüngling nicht abhal¬ ten konnten, folgten ſie ihm, aber der gute Arzt, der mit dem Chirurgus ihnen entge¬ gen kam, hielt ſie ab ſich der Verblichenen zu nähern, und ſagte: Halten Sie Sich von dieſem traurigen Gegenſtande entfernt, und erlauben Sie mir, daß ich den Reſten
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kann nicht loben, daß Schmerz und Nei¬
gung die Erinnerung an meinen Bruder völ¬
lig aus euren Herzen zu verbannen ſcheint.
Wilhelm riß ſich bey dieſen Worten aus
den Armen Thereſens. Wo wollen Sie hin,
riefen beyde Frauen. Laſſen Sie mich das
Kind ſehen, rief er aus, das ich getödtet
habe. Das Unglück, das wir mit Augen
ſehen, iſt geringer, als wenn unſere Einbil¬
dungskraft das Übel gewaltſam in unſer Ge¬
müth einſenkt, laſſen Sie uns den abgeſchie¬
denen Engel ſehen! ſeine heitere Mine wird
uns ſagen, daß ihm wohl iſt! Da die Freun¬
dinnen den bewegten Jüngling nicht abhal¬
ten konnten, folgten ſie ihm, aber der gute
Arzt, der mit dem Chirurgus ihnen entge¬
gen kam, hielt ſie ab ſich der Verblichenen
zu nähern, und ſagte: Halten Sie Sich
von dieſem traurigen Gegenſtande entfernt,
und erlauben Sie mir, daß ich den Reſten
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/341>, abgerufen am 25.11.2024.
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