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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Therese antwortete: "Ich bin nicht we¬
nig verwundert, daß Lothario selbst über¬
zeugt ist, denn gegen seine Schwester wird
er sich nicht auf diesen Grad verstellen. Ich
bin verdrießlich, sehr verdrießlich. Es ist
besser, ich sage nichts weiter. Am besten
ists, ich komme zu Dir, wenn ich nur erst
die arme Lydie untergebracht habe, mit der
man grausam umgeht. Ich fürchte, wir sind
alle betrogen, und werden so betrogen, um
nie ins Klare zu kommen. Wenn der Freund
meinen Sinn hätte, so entschlüpfte er Dir
doch, und würfe sich an das Herz seiner
Therese, die ihm dann niemand entreißen
sollte; aber ich fürchte ich soll ihn verlieren
und Lohario nicht wieder gewinnen. Diesem
entreißt man Lydien, indem man ihm die
Hoffnung, mich besitzen zu können, von Wei¬
ten zeigt. Ich will nichts weiter sagen, die
Verwirrung wird noch größer werden. Ob

Thereſe antwortete: »Ich bin nicht we¬
nig verwundert, daß Lothario ſelbſt über¬
zeugt iſt, denn gegen ſeine Schweſter wird
er ſich nicht auf dieſen Grad verſtellen. Ich
bin verdrießlich, ſehr verdrießlich. Es iſt
beſſer, ich ſage nichts weiter. Am beſten
iſts, ich komme zu Dir, wenn ich nur erſt
die arme Lydie untergebracht habe, mit der
man grauſam umgeht. Ich fürchte, wir ſind
alle betrogen, und werden ſo betrogen, um
nie ins Klare zu kommen. Wenn der Freund
meinen Sinn hätte, ſo entſchlüpfte er Dir
doch, und würfe ſich an das Herz ſeiner
Thereſe, die ihm dann niemand entreißen
ſollte; aber ich fürchte ich ſoll ihn verlieren
und Lohario nicht wieder gewinnen. Dieſem
entreißt man Lydien, indem man ihm die
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ten zeigt. Ich will nichts weiter ſagen, die
Verwirrung wird noch größer werden. Ob

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[316/0320] Thereſe antwortete: »Ich bin nicht we¬ nig verwundert, daß Lothario ſelbſt über¬ zeugt iſt, denn gegen ſeine Schweſter wird er ſich nicht auf dieſen Grad verſtellen. Ich bin verdrießlich, ſehr verdrießlich. Es iſt beſſer, ich ſage nichts weiter. Am beſten iſts, ich komme zu Dir, wenn ich nur erſt die arme Lydie untergebracht habe, mit der man grauſam umgeht. Ich fürchte, wir ſind alle betrogen, und werden ſo betrogen, um nie ins Klare zu kommen. Wenn der Freund meinen Sinn hätte, ſo entſchlüpfte er Dir doch, und würfe ſich an das Herz ſeiner Thereſe, die ihm dann niemand entreißen ſollte; aber ich fürchte ich ſoll ihn verlieren und Lohario nicht wieder gewinnen. Dieſem entreißt man Lydien, indem man ihm die Hoffnung, mich beſitzen zu können, von Wei¬ ten zeigt. Ich will nichts weiter ſagen, die Verwirrung wird noch größer werden. Ob

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/320>, abgerufen am 22.11.2024.