Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

gebohren werden, man giebt es bey allen
Künsten zu, weil man muß, und weil jene
Wirkungen der menschlichen Natur kaum
scheinbar nachgeäfft werden können; aber,
wenn man es genau betrachtet, so wird jede
auch nur die geringste Fähigkeit uns ange¬
bohren, und es giebt keine unbestimmte Fä¬
higkeit. Nur unsere zweydeutige, zerstreute
Erziehung macht die Menschen ungewis, sie
erregt Wünsche statt Triebe zu beleben, und,
anstatt den wirklichen Anlagen aufzuhelfen,
richtet sie das Streben nach Gegenständen,
die so oft mit der Natur, die sich nach ih¬
nen bemüht, nicht übereinstimmen. Ein Kind,
ein junger Mensch, die auf ihrem eigenen
Wege irre gehen, sind mir lieber als manche,
die auf fremdem Wege recht wandeln. Fin¬
den jene, entweder durch sich selbst, oder
durch Anleitung, den rechten Weg, das ist
den, der ihrer Natur gemäß ist, so werden

sie

gebohren werden, man giebt es bey allen
Künſten zu, weil man muß, und weil jene
Wirkungen der menſchlichen Natur kaum
ſcheinbar nachgeäfft werden können; aber,
wenn man es genau betrachtet, ſo wird jede
auch nur die geringſte Fähigkeit uns ange¬
bohren, und es giebt keine unbeſtimmte Fä¬
higkeit. Nur unſere zweydeutige, zerſtreute
Erziehung macht die Menſchen ungewis, ſie
erregt Wünſche ſtatt Triebe zu beleben, und,
anſtatt den wirklichen Anlagen aufzuhelfen,
richtet ſie das Streben nach Gegenſtänden,
die ſo oft mit der Natur, die ſich nach ih¬
nen bemüht, nicht übereinſtimmen. Ein Kind,
ein junger Menſch, die auf ihrem eigenen
Wege irre gehen, ſind mir lieber als manche,
die auf fremdem Wege recht wandeln. Fin¬
den jene, entweder durch ſich ſelbſt, oder
durch Anleitung, den rechten Weg, das iſt
den, der ihrer Natur gemäß iſt, ſo werden

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0276" n="272"/>
gebohren werden, man giebt es bey allen<lb/>
Kün&#x017F;ten zu, weil man muß, und weil jene<lb/>
Wirkungen der men&#x017F;chlichen Natur kaum<lb/>
&#x017F;cheinbar nachgeäfft werden können; aber,<lb/>
wenn man es genau betrachtet, &#x017F;o wird jede<lb/>
auch nur die gering&#x017F;te Fähigkeit uns ange¬<lb/>
bohren, und es giebt keine unbe&#x017F;timmte Fä¬<lb/>
higkeit. Nur un&#x017F;ere zweydeutige, zer&#x017F;treute<lb/>
Erziehung macht die Men&#x017F;chen ungewis, &#x017F;ie<lb/>
erregt Wün&#x017F;che &#x017F;tatt Triebe zu beleben, und,<lb/>
an&#x017F;tatt den wirklichen Anlagen aufzuhelfen,<lb/>
richtet &#x017F;ie das Streben nach Gegen&#x017F;tänden,<lb/>
die &#x017F;o oft mit der Natur, die &#x017F;ich nach ih¬<lb/>
nen bemüht, nicht überein&#x017F;timmen. Ein Kind,<lb/>
ein junger Men&#x017F;ch, die auf ihrem eigenen<lb/>
Wege irre gehen, &#x017F;ind mir lieber als manche,<lb/>
die auf fremdem Wege recht wandeln. Fin¬<lb/>
den jene, entweder durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, oder<lb/>
durch Anleitung, den rechten Weg, das i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#g">den</hi>, der ihrer Natur gemäß i&#x017F;t, &#x017F;o werden<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0276] gebohren werden, man giebt es bey allen Künſten zu, weil man muß, und weil jene Wirkungen der menſchlichen Natur kaum ſcheinbar nachgeäfft werden können; aber, wenn man es genau betrachtet, ſo wird jede auch nur die geringſte Fähigkeit uns ange¬ bohren, und es giebt keine unbeſtimmte Fä¬ higkeit. Nur unſere zweydeutige, zerſtreute Erziehung macht die Menſchen ungewis, ſie erregt Wünſche ſtatt Triebe zu beleben, und, anſtatt den wirklichen Anlagen aufzuhelfen, richtet ſie das Streben nach Gegenſtänden, die ſo oft mit der Natur, die ſich nach ih¬ nen bemüht, nicht übereinſtimmen. Ein Kind, ein junger Menſch, die auf ihrem eigenen Wege irre gehen, ſind mir lieber als manche, die auf fremdem Wege recht wandeln. Fin¬ den jene, entweder durch ſich ſelbſt, oder durch Anleitung, den rechten Weg, das iſt den, der ihrer Natur gemäß iſt, ſo werden ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/276
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/276>, abgerufen am 03.07.2024.