Der Knabe lud Wilhelmen zum Frühstück ein, dieser fand den Abbe schon im Saale; Lo¬ thario, hieß es, sey ausgeritten, der Abbe war nicht sehr gesprächig und schien eher nachdenklich zu seyn, er fragte nach Aure¬ liens Tode und hörte mit Theilnahme der Erzählung Wilhelms zu. Ach! rief er aus, wem es lebhaft und gegenwärtig ist, welche unendliche Operationen Natur und Kunst machen müssen, bis ein gebildeter Mensch dasteht, wer selbst so viel als möglich an der Bildung seiner Mitbrüder Theil nimmt, der möchte verzweifeln, wenn er sieht, wie fre¬ ventlich sich oft der Mensch zerstöhrt und so oft in den Fall kommt, mit oder ohne Schuld, zerstöhrt zu werden. Wenn ich das bedenke, so scheint mir das Leben selbst eine
Zweytes Capitel.
Der Knabe lud Wilhelmen zum Frühſtück ein, dieſer fand den Abbé ſchon im Saale; Lo¬ thario, hieß es, ſey ausgeritten, der Abbé war nicht ſehr geſprächig und ſchien eher nachdenklich zu ſeyn, er fragte nach Aure¬ liens Tode und hörte mit Theilnahme der Erzählung Wilhelms zu. Ach! rief er aus, wem es lebhaft und gegenwärtig iſt, welche unendliche Operationen Natur und Kunſt machen müſſen, bis ein gebildeter Menſch daſteht, wer ſelbſt ſo viel als möglich an der Bildung ſeiner Mitbrüder Theil nimmt, der möchte verzweifeln, wenn er ſieht, wie fre¬ ventlich ſich oft der Menſch zerſtöhrt und ſo oft in den Fall kommt, mit oder ohne Schuld, zerſtöhrt zu werden. Wenn ich das bedenke, ſo ſcheint mir das Leben ſelbſt eine
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Zweytes Capitel.
Der Knabe lud Wilhelmen zum Frühſtück ein,
dieſer fand den Abbé ſchon im Saale; Lo¬
thario, hieß es, ſey ausgeritten, der Abbé
war nicht ſehr geſprächig und ſchien eher
nachdenklich zu ſeyn, er fragte nach Aure¬
liens Tode und hörte mit Theilnahme der
Erzählung Wilhelms zu. Ach! rief er aus,
wem es lebhaft und gegenwärtig iſt, welche
unendliche Operationen Natur und Kunſt
machen müſſen, bis ein gebildeter Menſch
daſteht, wer ſelbſt ſo viel als möglich an der
Bildung ſeiner Mitbrüder Theil nimmt, der
möchte verzweifeln, wenn er ſieht, wie fre¬
ventlich ſich oft der Menſch zerſtöhrt und ſo
oft in den Fall kommt, mit oder ohne
Schuld, zerſtöhrt zu werden. Wenn ich das
bedenke, ſo ſcheint mir das Leben ſelbſt eine
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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