Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

und schlief zuletzt, bewegt und ausgeweint,
wie sie war, in ihren Kleidern ein.

Norberg kam, ich suchte ihn abzuhalten,
ich stellte ihm ihre Gewissensbisse, ihre Reue
mit den schwärzesten Farben vor, er wünschte
sie nur zu sehen, und ich ging in das Zim¬
mer, um sie vorzubereiten, er schritt mir
nach, und wir traten beyde zu gleicher Zeit
vor ihr Bette. Sie erwachte, sprang mit
Wuth auf und entriß sich unsern Armen; sie
beschwur und bat, sie flehte, drohte und ver¬
sicherte, daß sie nicht nachgeben würde. Sie
war unvorsichtig genug, über ihre wahre Lei¬
denschaft einige Worte fallen zu lassen, die
der arme Norberg im geistlichen Sinne deu¬
ten mußte. Endlich verließ er sie, und sie
schloß sich ein. Ich behielt ihn noch lange
bey mir, und sprach mit ihm über ihren Zu¬
stand, daß sie guter Hoffnung sey, und daß
man das arme Mädchen schonen müsse. Er

L

und ſchlief zuletzt, bewegt und ausgeweint,
wie ſie war, in ihren Kleidern ein.

Norberg kam, ich ſuchte ihn abzuhalten,
ich ſtellte ihm ihre Gewiſſensbiſſe, ihre Reue
mit den ſchwärzeſten Farben vor, er wünſchte
ſie nur zu ſehen, und ich ging in das Zim¬
mer, um ſie vorzubereiten, er ſchritt mir
nach, und wir traten beyde zu gleicher Zeit
vor ihr Bette. Sie erwachte, ſprang mit
Wuth auf und entriß ſich unſern Armen; ſie
beſchwur und bat, ſie flehte, drohte und ver¬
ſicherte, daß ſie nicht nachgeben würde. Sie
war unvorſichtig genug, über ihre wahre Lei¬
denſchaft einige Worte fallen zu laſſen, die
der arme Norberg im geiſtlichen Sinne deu¬
ten mußte. Endlich verließ er ſie, und ſie
ſchloß ſich ein. Ich behielt ihn noch lange
bey mir, und ſprach mit ihm über ihren Zu¬
ſtand, daß ſie guter Hoffnung ſey, und daß
man das arme Mädchen ſchonen müſſe. Er

L
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0165" n="161"/>
und &#x017F;chlief zuletzt, bewegt und ausgeweint,<lb/>
wie &#x017F;ie war, in ihren Kleidern ein.</p><lb/>
            <p>Norberg kam, ich &#x017F;uchte ihn abzuhalten,<lb/>
ich &#x017F;tellte ihm ihre Gewi&#x017F;&#x017F;ensbi&#x017F;&#x017F;e, ihre Reue<lb/>
mit den &#x017F;chwärze&#x017F;ten Farben vor, er wün&#x017F;chte<lb/>
&#x017F;ie nur zu &#x017F;ehen, und ich ging in das Zim¬<lb/>
mer, um &#x017F;ie vorzubereiten, er &#x017F;chritt mir<lb/>
nach, und wir traten beyde zu gleicher Zeit<lb/>
vor ihr Bette. Sie erwachte, &#x017F;prang mit<lb/>
Wuth auf und entriß &#x017F;ich un&#x017F;ern Armen; &#x017F;ie<lb/>
be&#x017F;chwur und bat, &#x017F;ie flehte, drohte und ver¬<lb/>
&#x017F;icherte, daß &#x017F;ie nicht nachgeben würde. Sie<lb/>
war unvor&#x017F;ichtig genug, über ihre wahre Lei¬<lb/>
den&#x017F;chaft einige Worte fallen zu la&#x017F;&#x017F;en, die<lb/>
der arme Norberg im gei&#x017F;tlichen Sinne deu¬<lb/>
ten mußte. Endlich verließ er &#x017F;ie, und &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;chloß &#x017F;ich ein. Ich behielt ihn noch lange<lb/>
bey mir, und &#x017F;prach mit ihm über ihren Zu¬<lb/>
&#x017F;tand, daß &#x017F;ie guter Hoffnung &#x017F;ey, und daß<lb/>
man das arme Mädchen &#x017F;chonen mü&#x017F;&#x017F;e. Er<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0165] und ſchlief zuletzt, bewegt und ausgeweint, wie ſie war, in ihren Kleidern ein. Norberg kam, ich ſuchte ihn abzuhalten, ich ſtellte ihm ihre Gewiſſensbiſſe, ihre Reue mit den ſchwärzeſten Farben vor, er wünſchte ſie nur zu ſehen, und ich ging in das Zim¬ mer, um ſie vorzubereiten, er ſchritt mir nach, und wir traten beyde zu gleicher Zeit vor ihr Bette. Sie erwachte, ſprang mit Wuth auf und entriß ſich unſern Armen; ſie beſchwur und bat, ſie flehte, drohte und ver¬ ſicherte, daß ſie nicht nachgeben würde. Sie war unvorſichtig genug, über ihre wahre Lei¬ denſchaft einige Worte fallen zu laſſen, die der arme Norberg im geiſtlichen Sinne deu¬ ten mußte. Endlich verließ er ſie, und ſie ſchloß ſich ein. Ich behielt ihn noch lange bey mir, und ſprach mit ihm über ihren Zu¬ ſtand, daß ſie guter Hoffnung ſey, und daß man das arme Mädchen ſchonen müſſe. Er L

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/165
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/165>, abgerufen am 17.05.2024.