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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Chor Menschenstimmen sich, ohne alle Be¬
gleitung irgend eines Instruments, hören
ließ. Wir legten es ihm nahe genug, uns
das Vergnügen noch einmal zu verschaffen;
er schien nicht darauf zu merken. Wie über¬
rascht waren wir daher, als er eines Abends
zu uns sagte: die Tanzmusik hat sich ent¬
fernt; die jungen, flüchtigen Freunde haben
uns verlassen; das Ehepaar selbst sieht schon
ernsthafter aus als vor einigen Tagen, und
in einer solchen Epoche von einander zu schei¬
den, da wir uns vielleicht nie, wenigstens
anders wiedersehen, regt uns zu einer feyer¬
lichen Stimmung, die ich nicht edler nähren
kann, als durch eine Musik, deren Wieder¬
hohlung Sie schon früher zu wünschen
schienen.

Er ließ durch das indeß verstärkte und
im Stillen noch mehr geübte Chor, uns vier
und achtstimmige Gesänge vortragen, die

Chor Menſchenſtimmen ſich, ohne alle Be¬
gleitung irgend eines Inſtruments, hören
ließ. Wir legten es ihm nahe genug, uns
das Vergnügen noch einmal zu verſchaffen;
er ſchien nicht darauf zu merken. Wie über¬
raſcht waren wir daher, als er eines Abends
zu uns ſagte: die Tanzmuſik hat ſich ent¬
fernt; die jungen, flüchtigen Freunde haben
uns verlaſſen; das Ehepaar ſelbſt ſieht ſchon
ernſthafter aus als vor einigen Tagen, und
in einer ſolchen Epoche von einander zu ſchei¬
den, da wir uns vielleicht nie, wenigſtens
anders wiederſehen, regt uns zu einer feyer¬
lichen Stimmung, die ich nicht edler nähren
kann, als durch eine Muſik, deren Wieder¬
hohlung Sie ſchon früher zu wünſchen
ſchienen.

Er ließ durch das indeß verſtärkte und
im Stillen noch mehr geübte Chor, uns vier
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[344/0350] Chor Menſchenſtimmen ſich, ohne alle Be¬ gleitung irgend eines Inſtruments, hören ließ. Wir legten es ihm nahe genug, uns das Vergnügen noch einmal zu verſchaffen; er ſchien nicht darauf zu merken. Wie über¬ raſcht waren wir daher, als er eines Abends zu uns ſagte: die Tanzmuſik hat ſich ent¬ fernt; die jungen, flüchtigen Freunde haben uns verlaſſen; das Ehepaar ſelbſt ſieht ſchon ernſthafter aus als vor einigen Tagen, und in einer ſolchen Epoche von einander zu ſchei¬ den, da wir uns vielleicht nie, wenigſtens anders wiederſehen, regt uns zu einer feyer¬ lichen Stimmung, die ich nicht edler nähren kann, als durch eine Muſik, deren Wieder¬ hohlung Sie ſchon früher zu wünſchen ſchienen. Er ließ durch das indeß verſtärkte und im Stillen noch mehr geübte Chor, uns vier und achtſtimmige Geſänge vortragen, die

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/350>, abgerufen am 19.05.2024.