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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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schen, der deutlich weiß, was er will, unab¬
lässig vorschreitet, die Mittel zu seinem Zwecke
kennt und sie zu ergreifen und zu brauchen
weiß; in wie fern sein Zweck groß oder klein
sey, Lob oder Tadel verdiene, das kommt bey
mir erst nachher in Betrachtung. Glauben
Sie mir, meine Liebe, der größte Theil des
Unheils und dessen was man bös in der
Welt nennt, entsteht bloß, weil die Men¬
schen zu nachlässig sind ihre Zwecke recht
kennen zu lernen, und wenn sie solche ken¬
nen, ernsthaft darauf los zu arbeiten. Sie
kommen mir vor wie Leute, die den Begriff
haben, es könne und müsse ein Thurm ge¬
bauet werden, und die doch an den Grund
nicht mehr Steine und Arbeit verwenden,
als man allenfalls einer Hütte unterschlüge.
Hätten Sie meine Freundin, deren höchstes
Bedürfniß war, mit Ihrer innern sittlichen
Natur ins reine zu kommen, anstatt der

ſchen, der deutlich weiß, was er will, unab¬
läſſig vorſchreitet, die Mittel zu ſeinem Zwecke
kennt und ſie zu ergreifen und zu brauchen
weiß; in wie fern ſein Zweck groß oder klein
ſey, Lob oder Tadel verdiene, das kommt bey
mir erſt nachher in Betrachtung. Glauben
Sie mir, meine Liebe, der größte Theil des
Unheils und deſſen was man bös in der
Welt nennt, entſteht bloß, weil die Men¬
ſchen zu nachläſſig ſind ihre Zwecke recht
kennen zu lernen, und wenn ſie ſolche ken¬
nen, ernſthaft darauf los zu arbeiten. Sie
kommen mir vor wie Leute, die den Begriff
haben, es könne und müſſe ein Thurm ge¬
bauet werden, und die doch an den Grund
nicht mehr Steine und Arbeit verwenden,
als man allenfalls einer Hütte unterſchlüge.
Hätten Sie meine Freundin, deren höchſtes
Bedürfniß war, mit Ihrer innern ſittlichen
Natur ins reine zu kommen, anſtatt der

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[332/0338] ſchen, der deutlich weiß, was er will, unab¬ läſſig vorſchreitet, die Mittel zu ſeinem Zwecke kennt und ſie zu ergreifen und zu brauchen weiß; in wie fern ſein Zweck groß oder klein ſey, Lob oder Tadel verdiene, das kommt bey mir erſt nachher in Betrachtung. Glauben Sie mir, meine Liebe, der größte Theil des Unheils und deſſen was man bös in der Welt nennt, entſteht bloß, weil die Men¬ ſchen zu nachläſſig ſind ihre Zwecke recht kennen zu lernen, und wenn ſie ſolche ken¬ nen, ernſthaft darauf los zu arbeiten. Sie kommen mir vor wie Leute, die den Begriff haben, es könne und müſſe ein Thurm ge¬ bauet werden, und die doch an den Grund nicht mehr Steine und Arbeit verwenden, als man allenfalls einer Hütte unterſchlüge. Hätten Sie meine Freundin, deren höchſtes Bedürfniß war, mit Ihrer innern ſittlichen Natur ins reine zu kommen, anſtatt der

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/338>, abgerufen am 19.05.2024.