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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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und ich fand mich nun sehr glücklich, ein
solches Verschen ins Gedächtniß zu fassen
und mich einige Tage damit zu tragen.

Seit jenem Augenblick, in welchem mir
das Wahre geschenkt worden war, verflossen
auf diese Weise ohngefähr drey Monate.
Endlich faßte ich den Entschluß, meinem
Freunde Philo alles zu entdecken, und ihn
um die Mittheilung jener Schriften zu bit¬
ten, auf die ich nun über die Maßen neu¬
gierig geworden war. Ich that es auch
wirklich, ohnerachtet mir ein Etwas im Her¬
zen ernstlich davon abrieth.

Ich erzählte Philo die ganze Geschichte
umständlich, und da er selbst darin eine
Hauptperson war, da meine Erzählung auch
für ihn die strengste Bußpredigt enthielt,
war er äußerst betroffen und gerührt. Er
zerfloß in Thränen. Ich freute mich, und
glaubte, auch bey ihm sey eine völlige Sin¬
nesänderung bewirkt worden.

und ich fand mich nun ſehr glücklich, ein
ſolches Verschen ins Gedächtniß zu faſſen
und mich einige Tage damit zu tragen.

Seit jenem Augenblick, in welchem mir
das Wahre geſchenkt worden war, verfloſſen
auf dieſe Weiſe ohngefähr drey Monate.
Endlich faßte ich den Entſchluß, meinem
Freunde Philo alles zu entdecken, und ihn
um die Mittheilung jener Schriften zu bit¬
ten, auf die ich nun über die Maßen neu¬
gierig geworden war. Ich that es auch
wirklich, ohnerachtet mir ein Etwas im Her¬
zen ernſtlich davon abrieth.

Ich erzählte Philo die ganze Geſchichte
umſtändlich, und da er ſelbſt darin eine
Hauptperſon war, da meine Erzählung auch
für ihn die ſtrengſte Bußpredigt enthielt,
war er äußerſt betroffen und gerührt. Er
zerfloß in Thränen. Ich freute mich, und
glaubte, auch bey ihm ſey eine völlige Sin¬
nesänderung bewirkt worden.

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[310/0316] und ich fand mich nun ſehr glücklich, ein ſolches Verschen ins Gedächtniß zu faſſen und mich einige Tage damit zu tragen. Seit jenem Augenblick, in welchem mir das Wahre geſchenkt worden war, verfloſſen auf dieſe Weiſe ohngefähr drey Monate. Endlich faßte ich den Entſchluß, meinem Freunde Philo alles zu entdecken, und ihn um die Mittheilung jener Schriften zu bit¬ ten, auf die ich nun über die Maßen neu¬ gierig geworden war. Ich that es auch wirklich, ohnerachtet mir ein Etwas im Her¬ zen ernſtlich davon abrieth. Ich erzählte Philo die ganze Geſchichte umſtändlich, und da er ſelbſt darin eine Hauptperſon war, da meine Erzählung auch für ihn die ſtrengſte Bußpredigt enthielt, war er äußerſt betroffen und gerührt. Er zerfloß in Thränen. Ich freute mich, und glaubte, auch bey ihm ſey eine völlige Sin¬ nesänderung bewirkt worden.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/316>, abgerufen am 26.05.2024.