Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Publikum heftigen Theil zu nehmen pflegt,
weil es verwöhnt ist, auf die Entschließun¬
gen schwacher Gemüther einigen Einfluß zu
haben. Ich kannte die Welt genug, und
wußte, daß man oft von eben den Personen
über das getadelt wird, wozu man sich durch
sie hat bereden lassen, und auch ohne das
würden mir bey meiner innern Verfassung
alle solche vorübergehende Meynungen we¬
niger als nichts gewesen seyn.

Dagegen versagte ich mir nicht, meiner
Neigung zu Narcissen nachzuhängen. Er
war mir unsichtbar geworden, und mein
Herz hatte sich nicht gegen ihn geändert.
Ich liebte ihn zärtlich, gleichsam auf das
neue und viel gesetzter als vorher. Wollte
er meine Überzeugung nicht stöhren, so war
ich die Seine, ohne diese Bedingung hätte
ich ein Königreich mit ihm ausgeschlagen.
Mehrere Monate lang trug ich diese Em¬

Publikum heftigen Theil zu nehmen pflegt,
weil es verwöhnt iſt, auf die Entſchließun¬
gen ſchwacher Gemüther einigen Einfluß zu
haben. Ich kannte die Welt genug, und
wußte, daß man oft von eben den Perſonen
über das getadelt wird, wozu man ſich durch
ſie hat bereden laſſen, und auch ohne das
würden mir bey meiner innern Verfaſſung
alle ſolche vorübergehende Meynungen we¬
niger als nichts geweſen ſeyn.

Dagegen verſagte ich mir nicht, meiner
Neigung zu Narciſſen nachzuhängen. Er
war mir unſichtbar geworden, und mein
Herz hatte ſich nicht gegen ihn geändert.
Ich liebte ihn zärtlich, gleichſam auf das
neue und viel geſetzter als vorher. Wollte
er meine Überzeugung nicht ſtöhren, ſo war
ich die Seine, ohne dieſe Bedingung hätte
ich ein Königreich mit ihm ausgeſchlagen.
Mehrere Monate lang trug ich dieſe Em¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0274" n="270[268]"/>
Publikum heftigen Theil zu nehmen pflegt,<lb/>
weil es verwöhnt i&#x017F;t, auf die Ent&#x017F;chließun¬<lb/>
gen &#x017F;chwacher Gemüther einigen Einfluß zu<lb/>
haben. Ich kannte die Welt genug, und<lb/>
wußte, daß man oft von eben den Per&#x017F;onen<lb/>
über das getadelt wird, wozu man &#x017F;ich durch<lb/>
&#x017F;ie hat bereden la&#x017F;&#x017F;en, und auch ohne das<lb/>
würden mir bey meiner innern Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
alle &#x017F;olche vorübergehende Meynungen we¬<lb/>
niger als nichts gewe&#x017F;en &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p>Dagegen ver&#x017F;agte ich mir nicht, meiner<lb/>
Neigung zu Narci&#x017F;&#x017F;en nachzuhängen. Er<lb/>
war mir un&#x017F;ichtbar geworden, und mein<lb/>
Herz hatte &#x017F;ich nicht gegen ihn geändert.<lb/>
Ich liebte ihn zärtlich, gleich&#x017F;am auf das<lb/>
neue und viel ge&#x017F;etzter als vorher. Wollte<lb/>
er meine Überzeugung nicht &#x017F;töhren, &#x017F;o war<lb/>
ich die Seine, ohne die&#x017F;e Bedingung hätte<lb/>
ich ein Königreich mit ihm ausge&#x017F;chlagen.<lb/>
Mehrere Monate lang trug ich die&#x017F;e Em¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270[268]/0274] Publikum heftigen Theil zu nehmen pflegt, weil es verwöhnt iſt, auf die Entſchließun¬ gen ſchwacher Gemüther einigen Einfluß zu haben. Ich kannte die Welt genug, und wußte, daß man oft von eben den Perſonen über das getadelt wird, wozu man ſich durch ſie hat bereden laſſen, und auch ohne das würden mir bey meiner innern Verfaſſung alle ſolche vorübergehende Meynungen we¬ niger als nichts geweſen ſeyn. Dagegen verſagte ich mir nicht, meiner Neigung zu Narciſſen nachzuhängen. Er war mir unſichtbar geworden, und mein Herz hatte ſich nicht gegen ihn geändert. Ich liebte ihn zärtlich, gleichſam auf das neue und viel geſetzter als vorher. Wollte er meine Überzeugung nicht ſtöhren, ſo war ich die Seine, ohne dieſe Bedingung hätte ich ein Königreich mit ihm ausgeſchlagen. Mehrere Monate lang trug ich dieſe Em¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/274
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 270[268]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/274>, abgerufen am 22.05.2024.