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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Ich war endlich genöthigt, ihr zu zeigen, daß
sie in keinem Sinne eine Stimme in dieser
Sache habe, und sie ließ nur selten merken,
daß sie auf ihrem Sinne verharre. Auch
war sie die einzige, die diese Begebenheit
von nahen ansah und ganz ohne Empfin¬
dung blieb. Ich thue ihr nicht zu viel,
wenn ich sage, daß sie kein Gemüth und die
eingeschränktesten Begriffe hatte.

Der Vater benahm sich ganz seiner Denk¬
art gemäß. Er sprach wenig, aber öfter mit
mir über die Sache, und seine Gründe wa¬
ren verständig, und als seine Gründe un¬
widerleglich; nur das tiefe Gefühl meines
Rechts gab mir Stärke, gegen ihn zu dispu¬
tiren. Aber bald veränderten sich diese Sce¬
nen; ich mußte an sein Herz Anspruch ma¬
chen. Gedrängt von seinem Verstande brach
ich in die affektvollsten Vorstellungen aus.
Ich ließ meiner Zunge und meinen Thränen

Ich war endlich genöthigt, ihr zu zeigen, daß
ſie in keinem Sinne eine Stimme in dieſer
Sache habe, und ſie ließ nur ſelten merken,
daß ſie auf ihrem Sinne verharre. Auch
war ſie die einzige, die dieſe Begebenheit
von nahen anſah und ganz ohne Empfin¬
dung blieb. Ich thue ihr nicht zu viel,
wenn ich ſage, daß ſie kein Gemüth und die
eingeſchränkteſten Begriffe hatte.

Der Vater benahm ſich ganz ſeiner Denk¬
art gemäß. Er ſprach wenig, aber öfter mit
mir über die Sache, und ſeine Gründe wa¬
ren verſtändig, und als ſeine Gründe un¬
widerleglich; nur das tiefe Gefühl meines
Rechts gab mir Stärke, gegen ihn zu diſpu¬
tiren. Aber bald veränderten ſich dieſe Sce¬
nen; ich mußte an ſein Herz Anſpruch ma¬
chen. Gedrängt von ſeinem Verſtande brach
ich in die affektvollſten Vorſtellungen aus.
Ich ließ meiner Zunge und meinen Thränen

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[268[266]/0272] Ich war endlich genöthigt, ihr zu zeigen, daß ſie in keinem Sinne eine Stimme in dieſer Sache habe, und ſie ließ nur ſelten merken, daß ſie auf ihrem Sinne verharre. Auch war ſie die einzige, die dieſe Begebenheit von nahen anſah und ganz ohne Empfin¬ dung blieb. Ich thue ihr nicht zu viel, wenn ich ſage, daß ſie kein Gemüth und die eingeſchränkteſten Begriffe hatte. Der Vater benahm ſich ganz ſeiner Denk¬ art gemäß. Er ſprach wenig, aber öfter mit mir über die Sache, und ſeine Gründe wa¬ ren verſtändig, und als ſeine Gründe un¬ widerleglich; nur das tiefe Gefühl meines Rechts gab mir Stärke, gegen ihn zu diſpu¬ tiren. Aber bald veränderten ſich dieſe Sce¬ nen; ich mußte an ſein Herz Anſpruch ma¬ chen. Gedrängt von ſeinem Verſtande brach ich in die affektvollſten Vorſtellungen aus. Ich ließ meiner Zunge und meinen Thränen

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 268[266]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/272>, abgerufen am 21.05.2024.