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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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so wie mich dünkt, der Grund zu meiner
ganzen Denkart gelegt, indem meinem Geiste
die ersten Hülfsmittel gereicht wurden, sich
nach seiner eigenen Art zu entwickeln.

Ich litt und liebte, das war die eigentli¬
che Gestalt meines Herzens. In dem heftig¬
sten Husten und abmattenden Fieber war ich
stille wie eine Schnecke, die sich in ihr Haus
zieht; so bald ich ein wenig Luft hatte,
wollte ich etwas Angenehmes fühlen, und da
mir aller übrige Genuß versagt war, suchte
ich mich durch Augen und Ohren schadlos zu
halten. Man brachte mir Puppenwerk und
Bilderbücher und wer Sitz an meinem Bette
haben wollte, mußte mir etwas erzählen.

Von meiner Mutter hörte ich die bibli¬
schen Geschichten gern an; der Vater unter¬
hielt mich mit Gegenständen der Natur. Er
besaß ein artiges Kabinet. Davon brachte er
gelegentlich eine Schublade nach der andern

her¬

ſo wie mich dünkt, der Grund zu meiner
ganzen Denkart gelegt, indem meinem Geiſte
die erſten Hülfsmittel gereicht wurden, ſich
nach ſeiner eigenen Art zu entwickeln.

Ich litt und liebte, das war die eigentli¬
che Geſtalt meines Herzens. In dem heftig¬
ſten Huſten und abmattenden Fieber war ich
ſtille wie eine Schnecke, die ſich in ihr Haus
zieht; ſo bald ich ein wenig Luft hatte,
wollte ich etwas Angenehmes fühlen, und da
mir aller übrige Genuß verſagt war, ſuchte
ich mich durch Augen und Ohren ſchadlos zu
halten. Man brachte mir Puppenwerk und
Bilderbücher und wer Sitz an meinem Bette
haben wollte, mußte mir etwas erzählen.

Von meiner Mutter hörte ich die bibli¬
ſchen Geſchichten gern an; der Vater unter¬
hielt mich mit Gegenſtänden der Natur. Er
beſaß ein artiges Kabinet. Davon brachte er
gelegentlich eine Schublade nach der andern

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[208/0214] ſo wie mich dünkt, der Grund zu meiner ganzen Denkart gelegt, indem meinem Geiſte die erſten Hülfsmittel gereicht wurden, ſich nach ſeiner eigenen Art zu entwickeln. Ich litt und liebte, das war die eigentli¬ che Geſtalt meines Herzens. In dem heftig¬ ſten Huſten und abmattenden Fieber war ich ſtille wie eine Schnecke, die ſich in ihr Haus zieht; ſo bald ich ein wenig Luft hatte, wollte ich etwas Angenehmes fühlen, und da mir aller übrige Genuß verſagt war, ſuchte ich mich durch Augen und Ohren ſchadlos zu halten. Man brachte mir Puppenwerk und Bilderbücher und wer Sitz an meinem Bette haben wollte, mußte mir etwas erzählen. Von meiner Mutter hörte ich die bibli¬ ſchen Geſchichten gern an; der Vater unter¬ hielt mich mit Gegenſtänden der Natur. Er beſaß ein artiges Kabinet. Davon brachte er gelegentlich eine Schublade nach der andern her¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/214>, abgerufen am 23.11.2024.