Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

nen Rang, seine Kleider und Equipage, nur
nicht seine Verdienste geltend zu machen.

Diesen Worten gab die Gesellschaft einen
unmäßigen Beyfall. Man fand abscheulich,
daß der Mann von Verdienst immer zurück
stehen müsse, und daß in der großen Welt
keine Spur von natürlichem und herzlichem
Umgang zu finden sey. Sie kamen beson¬
ders über diesen letzten Punkt aus dem Hun¬
dertsten ins Tausendste.

Scheltet sie nicht darüber, rief Wilhelm
aus, bedauert sie vielmehr. Denn von je¬
nem Glück, das wir als das höchste erken¬
nen, das aus dem innern Reichthum der
Natur fließt, haben sie selten eine erhöhte
Empfindung. Nur uns Armen, die wir we¬
nig oder nichts besitzen, ist es gegönnt, das
Glück der Freundschaft in reichem Maaße
zu genießen. Wir können unsre Geliebten
weder durch Gnade erheben, noch durch

nen Rang, ſeine Kleider und Equipage, nur
nicht ſeine Verdienſte geltend zu machen.

Dieſen Worten gab die Geſellſchaft einen
unmäßigen Beyfall. Man fand abſcheulich,
daß der Mann von Verdienſt immer zurück
ſtehen müſſe, und daß in der großen Welt
keine Spur von natürlichem und herzlichem
Umgang zu finden ſey. Sie kamen beſon¬
ders über dieſen letzten Punkt aus dem Hun¬
dertſten ins Tauſendſte.

Scheltet ſie nicht darüber, rief Wilhelm
aus, bedauert ſie vielmehr. Denn von je¬
nem Glück, das wir als das höchſte erken¬
nen, das aus dem innern Reichthum der
Natur fließt, haben ſie ſelten eine erhöhte
Empfindung. Nur uns Armen, die wir we¬
nig oder nichts beſitzen, iſt es gegönnt, das
Glück der Freundſchaft in reichem Maaße
zu genießen. Wir können unſre Geliebten
weder durch Gnade erheben, noch durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0195" n="187"/>
nen Rang, &#x017F;eine Kleider und Equipage, nur<lb/>
nicht &#x017F;eine Verdien&#x017F;te geltend zu machen.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;en Worten gab die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft einen<lb/>
unmäßigen Beyfall. Man fand ab&#x017F;cheulich,<lb/>
daß der Mann von Verdien&#x017F;t immer zurück<lb/>
&#x017F;tehen mü&#x017F;&#x017F;e, und daß in der großen Welt<lb/>
keine Spur von natürlichem und herzlichem<lb/>
Umgang zu finden &#x017F;ey. Sie kamen be&#x017F;on¬<lb/>
ders über die&#x017F;en letzten Punkt aus dem Hun¬<lb/>
dert&#x017F;ten ins Tau&#x017F;end&#x017F;te.</p><lb/>
            <p>Scheltet &#x017F;ie nicht darüber, rief Wilhelm<lb/>
aus, bedauert &#x017F;ie vielmehr. Denn von je¬<lb/>
nem Glück, das wir als das höch&#x017F;te erken¬<lb/>
nen, das aus dem innern Reichthum der<lb/>
Natur fließt, haben &#x017F;ie &#x017F;elten eine erhöhte<lb/>
Empfindung. Nur uns Armen, die wir we¬<lb/>
nig oder nichts be&#x017F;itzen, i&#x017F;t es gegönnt, das<lb/>
Glück der Freund&#x017F;chaft in reichem Maaße<lb/>
zu genießen. Wir können un&#x017F;re Geliebten<lb/>
weder durch Gnade erheben, noch durch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0195] nen Rang, ſeine Kleider und Equipage, nur nicht ſeine Verdienſte geltend zu machen. Dieſen Worten gab die Geſellſchaft einen unmäßigen Beyfall. Man fand abſcheulich, daß der Mann von Verdienſt immer zurück ſtehen müſſe, und daß in der großen Welt keine Spur von natürlichem und herzlichem Umgang zu finden ſey. Sie kamen beſon¬ ders über dieſen letzten Punkt aus dem Hun¬ dertſten ins Tauſendſte. Scheltet ſie nicht darüber, rief Wilhelm aus, bedauert ſie vielmehr. Denn von je¬ nem Glück, das wir als das höchſte erken¬ nen, das aus dem innern Reichthum der Natur fließt, haben ſie ſelten eine erhöhte Empfindung. Nur uns Armen, die wir we¬ nig oder nichts beſitzen, iſt es gegönnt, das Glück der Freundſchaft in reichem Maaße zu genießen. Wir können unſre Geliebten weder durch Gnade erheben, noch durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/195
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/195>, abgerufen am 25.11.2024.