Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

aus, der unter einem Crystall ein schön von
Haaren geflochtenes Schild zeigte, und mit
Steinen besetzt war. Sie überreichte ihn
Wilhelmen, der, als er ihn annahm, nichts
zu sagen und nichts zu thun wußte, sondern
wie eingewurzelt in den Boden da stand.
Die Gräfin schloß den Schreibtisch zu, und
setzte sich auf ihren Sopha.

Und ich soll leer ausgehn, sagte Philine,
indem sie sich zur rechten Hand der Gräfin
niederkniete: seht nur den Menschen, der zur
Unzeit so viele Worte im Munde führt, und
jetzt nicht einmal eine armselige Danksagung
herstammeln kann. Frisch, mein Herr, thun
Sie wenigstens pantomimisch Ihre Schuldig¬
keit, und wenn Sie heute selbst nichts zu er¬
finden wissen, so ahmen Sie mir wenigstens
nach.

Philine ergriff die rechte Hand der Grä¬
fin, und küßte sie mit Lebhaftigkeit. Wil¬

aus, der unter einem Cryſtall ein ſchön von
Haaren geflochtenes Schild zeigte, und mit
Steinen beſetzt war. Sie überreichte ihn
Wilhelmen, der, als er ihn annahm, nichts
zu ſagen und nichts zu thun wußte, ſondern
wie eingewurzelt in den Boden da ſtand.
Die Gräfin ſchloß den Schreibtiſch zu, und
ſetzte ſich auf ihren Sopha.

Und ich ſoll leer ausgehn, ſagte Philine,
indem ſie ſich zur rechten Hand der Gräfin
niederkniete: ſeht nur den Menſchen, der zur
Unzeit ſo viele Worte im Munde führt, und
jetzt nicht einmal eine armſelige Dankſagung
herſtammeln kann. Friſch, mein Herr, thun
Sie wenigſtens pantomimiſch Ihre Schuldig¬
keit, und wenn Sie heute ſelbſt nichts zu er¬
finden wiſſen, ſo ahmen Sie mir wenigſtens
nach.

Philine ergriff die rechte Hand der Grä¬
fin, und küßte ſie mit Lebhaftigkeit. Wil¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0162" n="154"/>
aus, der unter einem Cry&#x017F;tall ein &#x017F;chön von<lb/>
Haaren geflochtenes Schild zeigte, und mit<lb/>
Steinen be&#x017F;etzt war. Sie überreichte ihn<lb/>
Wilhelmen, der, als er ihn annahm, nichts<lb/>
zu &#x017F;agen und nichts zu thun wußte, &#x017F;ondern<lb/>
wie eingewurzelt in den Boden da &#x017F;tand.<lb/>
Die Gräfin &#x017F;chloß den Schreibti&#x017F;ch zu, und<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ich auf ihren Sopha.</p><lb/>
            <p>Und ich &#x017F;oll leer ausgehn, &#x017F;agte Philine,<lb/>
indem &#x017F;ie &#x017F;ich zur rechten Hand der Gräfin<lb/>
niederkniete: &#x017F;eht nur den Men&#x017F;chen, der zur<lb/>
Unzeit &#x017F;o viele Worte im Munde führt, und<lb/>
jetzt nicht einmal eine arm&#x017F;elige Dank&#x017F;agung<lb/>
her&#x017F;tammeln kann. Fri&#x017F;ch, mein Herr, thun<lb/>
Sie wenig&#x017F;tens pantomimi&#x017F;ch Ihre Schuldig¬<lb/>
keit, und wenn Sie heute &#x017F;elb&#x017F;t nichts zu er¬<lb/>
finden wi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o ahmen Sie mir wenig&#x017F;tens<lb/>
nach.</p><lb/>
            <p>Philine ergriff die rechte Hand der Grä¬<lb/>
fin, und küßte &#x017F;ie mit Lebhaftigkeit. Wil¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0162] aus, der unter einem Cryſtall ein ſchön von Haaren geflochtenes Schild zeigte, und mit Steinen beſetzt war. Sie überreichte ihn Wilhelmen, der, als er ihn annahm, nichts zu ſagen und nichts zu thun wußte, ſondern wie eingewurzelt in den Boden da ſtand. Die Gräfin ſchloß den Schreibtiſch zu, und ſetzte ſich auf ihren Sopha. Und ich ſoll leer ausgehn, ſagte Philine, indem ſie ſich zur rechten Hand der Gräfin niederkniete: ſeht nur den Menſchen, der zur Unzeit ſo viele Worte im Munde führt, und jetzt nicht einmal eine armſelige Dankſagung herſtammeln kann. Friſch, mein Herr, thun Sie wenigſtens pantomimiſch Ihre Schuldig¬ keit, und wenn Sie heute ſelbſt nichts zu er¬ finden wiſſen, ſo ahmen Sie mir wenigſtens nach. Philine ergriff die rechte Hand der Grä¬ fin, und küßte ſie mit Lebhaftigkeit. Wil¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/162
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/162>, abgerufen am 07.05.2024.