knüpft war. Seine reine Seele fühlte, daß sie die Hälfte, mehr als die Hälfte seiner selbst sey. Er war dankbar und hingegeben ohne Gränzen.
Auch Mariane konnte sich eine Zeitlang täuschen, sie theilte die Empfindung seines lebhaften Glücks mit ihm. Ach! wenn nur nicht manchmal die kalte Hand des Vor¬ wurfs ihr über das Herz gefahren wäre! Selbst an dem Busen Wilhelms war sie nicht sicher davor, selbst unter den Flügeln seiner Liebe. Und wenn sie nun gar wieder allein war, und aus den Wolken, in denen seine Leidenschaft sie emportrug, in das Be¬ wußtseyn ihres Zustandes herabsank; dann war sie zu bedauern. Denn Leichtsinn kam ihr zu Hülfe, so lange sie in niedriger Ver¬ worrenheit lebte, sich über ihre Verhältnisse betrog, oder vielmehr sie nicht kannte; da erschienen ihr die Vorfälle, denen sie ausge¬
knüpft war. Seine reine Seele fühlte, daß ſie die Hälfte, mehr als die Hälfte ſeiner ſelbſt ſey. Er war dankbar und hingegeben ohne Gränzen.
Auch Mariane konnte ſich eine Zeitlang täuſchen, ſie theilte die Empfindung ſeines lebhaften Glücks mit ihm. Ach! wenn nur nicht manchmal die kalte Hand des Vor¬ wurfs ihr über das Herz gefahren wäre! Selbſt an dem Buſen Wilhelms war ſie nicht ſicher davor, ſelbſt unter den Flügeln ſeiner Liebe. Und wenn ſie nun gar wieder allein war, und aus den Wolken, in denen ſeine Leidenſchaft ſie emportrug, in das Be¬ wußtſeyn ihres Zuſtandes herabſank; dann war ſie zu bedauern. Denn Leichtſinn kam ihr zu Hülfe, ſo lange ſie in niedriger Ver¬ worrenheit lebte, ſich über ihre Verhältniſſe betrog, oder vielmehr ſie nicht kannte; da erſchienen ihr die Vorfälle, denen ſie ausge¬
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knüpft war. Seine reine Seele fühlte, daß
ſie die Hälfte, mehr als die Hälfte ſeiner
ſelbſt ſey. Er war dankbar und hingegeben
ohne Gränzen.
Auch Mariane konnte ſich eine Zeitlang
täuſchen, ſie theilte die Empfindung ſeines
lebhaften Glücks mit ihm. Ach! wenn nur
nicht manchmal die kalte Hand des Vor¬
wurfs ihr über das Herz gefahren wäre!
Selbſt an dem Buſen Wilhelms war ſie
nicht ſicher davor, ſelbſt unter den Flügeln
ſeiner Liebe. Und wenn ſie nun gar wieder
allein war, und aus den Wolken, in denen
ſeine Leidenſchaft ſie emportrug, in das Be¬
wußtſeyn ihres Zuſtandes herabſank; dann
war ſie zu bedauern. Denn Leichtſinn kam
ihr zu Hülfe, ſo lange ſie in niedriger Ver¬
worrenheit lebte, ſich über ihre Verhältniſſe
betrog, oder vielmehr ſie nicht kannte; da
erſchienen ihr die Vorfälle, denen ſie ausge¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/80>, abgerufen am 21.11.2024.
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