zen. Ihre starren Glieder wurden gelinde, es ergoß sich ihr Innerstes, und in der Ver¬ irrung des Augenblickes fürchtete Wilhelm, sie werde in seinen Armen zerschmelzen, und er nichts von ihr übrig behalten. Er hielt sie nur fester und fester. -- Mein Kind! rief er aus, mein Kind! du bist ja mein! wenn dich das Wort trösten kann. Du bist mein! ich werde dich behalten, dich nicht ver¬ lassen! -- Ihre Thränen flossen noch im¬ mer. -- Endlich richtete sie sich auf. Eine weiche Heiterkeit glänzte von ihrem Gesich¬ te. -- Mein Vater! rief sie, du willst mich nicht verlassen! willst mein Vater seyn! -- Ich bin dein Kind!
Sanft fing vor der Thüre die Harfe an zu klingen; der Alte brachte seine herzlich¬ sten Lieder dem Freunde zum Abendopfer, der, sein Kind immer fester in Armen hal¬ tend, des reinsten unbeschreiblichsten Glückes genoß.
zen. Ihre ſtarren Glieder wurden gelinde, es ergoß ſich ihr Innerſtes, und in der Ver¬ irrung des Augenblickes fürchtete Wilhelm, ſie werde in ſeinen Armen zerſchmelzen, und er nichts von ihr übrig behalten. Er hielt ſie nur feſter und feſter. — Mein Kind! rief er aus, mein Kind! du biſt ja mein! wenn dich das Wort tröſten kann. Du biſt mein! ich werde dich behalten, dich nicht ver¬ laſſen! — Ihre Thränen floſſen noch im¬ mer. — Endlich richtete ſie ſich auf. Eine weiche Heiterkeit glänzte von ihrem Geſich¬ te. — Mein Vater! rief ſie, du willſt mich nicht verlaſſen! willſt mein Vater ſeyn! — Ich bin dein Kind!
Sanft fing vor der Thüre die Harfe an zu klingen; der Alte brachte ſeine herzlich¬ ſten Lieder dem Freunde zum Abendopfer, der, ſein Kind immer feſter in Armen hal¬ tend, des reinſten unbeſchreiblichſten Glückes genoß.
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zen. Ihre ſtarren Glieder wurden gelinde,
es ergoß ſich ihr Innerſtes, und in der Ver¬
irrung des Augenblickes fürchtete Wilhelm,
ſie werde in ſeinen Armen zerſchmelzen, und
er nichts von ihr übrig behalten. Er hielt
ſie nur feſter und feſter. — Mein Kind!
rief er aus, mein Kind! du biſt ja mein!
wenn dich das Wort tröſten kann. Du biſt
mein! ich werde dich behalten, dich nicht ver¬
laſſen! — Ihre Thränen floſſen noch im¬
mer. — Endlich richtete ſie ſich auf. Eine
weiche Heiterkeit glänzte von ihrem Geſich¬
te. — Mein Vater! rief ſie, du willſt mich
nicht verlaſſen! willſt mein Vater ſeyn! —
Ich bin dein Kind!
Sanft fing vor der Thüre die Harfe an
zu klingen; der Alte brachte ſeine herzlich¬
ſten Lieder dem Freunde zum Abendopfer,
der, ſein Kind immer feſter in Armen hal¬
tend, des reinſten unbeſchreiblichſten Glückes
genoß.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/372>, abgerufen am 09.05.2024.
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