Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

die Vernunft eines menschlichen Meisters hal¬
ten. Das Schicksal, für dessen Weisheit ich
alle Ehrfurcht trage, mag an dem Zufall,
durch den es wirkt, ein sehr ungelenkes Or¬
gan haben. Denn selten scheint dieser genau
und rein auszuführen, was jenes beschlossen
hatte.

Sie scheinen einen sehr sonderbaren Ge¬
danken auszusprechen, versetzte Wilhelm.

Mit nichten! Das meiste, was in der
Welt begegnet, rechtfertigt meine Meinung.
Zeigen viele Begebenheiten im Anfange nicht
einen großen Sinn, und gehen die meisten
nicht auf etwas albernes hinaus?

Sie wollen scherzen.

Und ist es nicht, fuhr der andere fort,
mit dem, was einzelnen Menschen begegnet,
eben so? Gesetzt, das Schicksal hätte einen
zu einem guten Schauspieler bestimmt, (und
warum sollt' es uns nicht auch mit guten

die Vernunft eines menſchlichen Meiſters hal¬
ten. Das Schickſal, für deſſen Weisheit ich
alle Ehrfurcht trage, mag an dem Zufall,
durch den es wirkt, ein ſehr ungelenkes Or¬
gan haben. Denn ſelten ſcheint dieſer genau
und rein auszuführen, was jenes beſchloſſen
hatte.

Sie ſcheinen einen ſehr ſonderbaren Ge¬
danken auszuſprechen, verſetzte Wilhelm.

Mit nichten! Das meiſte, was in der
Welt begegnet, rechtfertigt meine Meinung.
Zeigen viele Begebenheiten im Anfange nicht
einen großen Sinn, und gehen die meiſten
nicht auf etwas albernes hinaus?

Sie wollen ſcherzen.

Und iſt es nicht, fuhr der andere fort,
mit dem, was einzelnen Menſchen begegnet,
eben ſo? Geſetzt, das Schickſal hätte einen
zu einem guten Schauſpieler beſtimmt, (und
warum ſollt’ es uns nicht auch mit guten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0314" n="306"/>
die Vernunft eines men&#x017F;chlichen Mei&#x017F;ters hal¬<lb/>
ten. Das Schick&#x017F;al, für de&#x017F;&#x017F;en Weisheit ich<lb/>
alle Ehrfurcht trage, mag an dem Zufall,<lb/>
durch den es wirkt, ein &#x017F;ehr ungelenkes Or¬<lb/>
gan haben. Denn &#x017F;elten &#x017F;cheint die&#x017F;er genau<lb/>
und rein auszuführen, was jenes be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hatte.</p><lb/>
            <p>Sie &#x017F;cheinen einen &#x017F;ehr &#x017F;onderbaren Ge¬<lb/>
danken auszu&#x017F;prechen, ver&#x017F;etzte Wilhelm.</p><lb/>
            <p>Mit nichten! Das mei&#x017F;te, was in der<lb/>
Welt begegnet, rechtfertigt meine Meinung.<lb/>
Zeigen viele Begebenheiten im Anfange nicht<lb/>
einen großen Sinn, und gehen die mei&#x017F;ten<lb/>
nicht auf etwas albernes hinaus?</p><lb/>
            <p>Sie wollen &#x017F;cherzen.</p><lb/>
            <p>Und i&#x017F;t es nicht, fuhr der andere fort,<lb/>
mit dem, was einzelnen Men&#x017F;chen begegnet,<lb/>
eben &#x017F;o? Ge&#x017F;etzt, das Schick&#x017F;al hätte einen<lb/>
zu einem guten Schau&#x017F;pieler be&#x017F;timmt, (und<lb/>
warum &#x017F;ollt&#x2019; es uns nicht auch mit guten<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0314] die Vernunft eines menſchlichen Meiſters hal¬ ten. Das Schickſal, für deſſen Weisheit ich alle Ehrfurcht trage, mag an dem Zufall, durch den es wirkt, ein ſehr ungelenkes Or¬ gan haben. Denn ſelten ſcheint dieſer genau und rein auszuführen, was jenes beſchloſſen hatte. Sie ſcheinen einen ſehr ſonderbaren Ge¬ danken auszuſprechen, verſetzte Wilhelm. Mit nichten! Das meiſte, was in der Welt begegnet, rechtfertigt meine Meinung. Zeigen viele Begebenheiten im Anfange nicht einen großen Sinn, und gehen die meiſten nicht auf etwas albernes hinaus? Sie wollen ſcherzen. Und iſt es nicht, fuhr der andere fort, mit dem, was einzelnen Menſchen begegnet, eben ſo? Geſetzt, das Schickſal hätte einen zu einem guten Schauſpieler beſtimmt, (und warum ſollt’ es uns nicht auch mit guten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/314
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/314>, abgerufen am 22.11.2024.