Gesellschaft, in der man sich nicht verstellt, in welcher jedes nur seinem Sinne folgt, kann Anmuth und Zufriedenheit nicht lange wohnen, und wo man sich immer verstellt, dahin kommen sie gar nicht. Es ist also nicht übel gethan, wir geben uns die Ver¬ stellung gleich von Anfange zu, und sind nachher unter der Maske so aufrichtig, als wir wollen.
Ja, sagte Laertes, deswegen geht sich's so angenehm mit Weibern um, die sich nie¬ mals in ihrer natürlichen Gestalt sehen lassen.
Das macht, versetzte Madam Melina, daß sie nicht so eitel sind wie Männer, wel¬ che sich einbilden, sie seyen schon immer lie¬ benswürdig genug, wie sie die Natur her¬ vorgebracht hat.
Indessen war man zwischen angenehmen Büschen und Hügeln, zwischen Gärten und Weinbergen hingefahren, und die jungen
Geſellſchaft, in der man ſich nicht verſtellt, in welcher jedes nur ſeinem Sinne folgt, kann Anmuth und Zufriedenheit nicht lange wohnen, und wo man ſich immer verſtellt, dahin kommen ſie gar nicht. Es iſt alſo nicht übel gethan, wir geben uns die Ver¬ ſtellung gleich von Anfange zu, und ſind nachher unter der Maſke ſo aufrichtig, als wir wollen.
Ja, ſagte Laertes, deswegen geht ſich’s ſo angenehm mit Weibern um, die ſich nie¬ mals in ihrer natürlichen Geſtalt ſehen laſſen.
Das macht, verſetzte Madam Melina, daß ſie nicht ſo eitel ſind wie Männer, wel¬ che ſich einbilden, ſie ſeyen ſchon immer lie¬ benswürdig genug, wie ſie die Natur her¬ vorgebracht hat.
Indeſſen war man zwiſchen angenehmen Büſchen und Hügeln, zwiſchen Gärten und Weinbergen hingefahren, und die jungen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0305"n="297"/>
Geſellſchaft, in der man ſich nicht verſtellt,<lb/>
in welcher jedes nur ſeinem Sinne folgt,<lb/>
kann Anmuth und Zufriedenheit nicht lange<lb/>
wohnen, und wo man ſich immer verſtellt,<lb/>
dahin kommen ſie gar nicht. Es iſt alſo<lb/>
nicht übel gethan, wir geben uns die Ver¬<lb/>ſtellung gleich von Anfange zu, und ſind<lb/>
nachher unter der Maſke ſo aufrichtig, als<lb/>
wir wollen.</p><lb/><p>Ja, ſagte Laertes, deswegen geht ſich’s<lb/>ſo angenehm mit Weibern um, die ſich nie¬<lb/>
mals in ihrer natürlichen Geſtalt ſehen laſſen.</p><lb/><p>Das macht, verſetzte Madam Melina,<lb/>
daß ſie nicht ſo eitel ſind wie Männer, wel¬<lb/>
che ſich einbilden, ſie ſeyen ſchon immer lie¬<lb/>
benswürdig genug, wie ſie die Natur her¬<lb/>
vorgebracht hat.</p><lb/><p>Indeſſen war man zwiſchen angenehmen<lb/>
Büſchen und Hügeln, zwiſchen Gärten und<lb/>
Weinbergen hingefahren, und die jungen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[297/0305]
Geſellſchaft, in der man ſich nicht verſtellt,
in welcher jedes nur ſeinem Sinne folgt,
kann Anmuth und Zufriedenheit nicht lange
wohnen, und wo man ſich immer verſtellt,
dahin kommen ſie gar nicht. Es iſt alſo
nicht übel gethan, wir geben uns die Ver¬
ſtellung gleich von Anfange zu, und ſind
nachher unter der Maſke ſo aufrichtig, als
wir wollen.
Ja, ſagte Laertes, deswegen geht ſich’s
ſo angenehm mit Weibern um, die ſich nie¬
mals in ihrer natürlichen Geſtalt ſehen laſſen.
Das macht, verſetzte Madam Melina,
daß ſie nicht ſo eitel ſind wie Männer, wel¬
che ſich einbilden, ſie ſeyen ſchon immer lie¬
benswürdig genug, wie ſie die Natur her¬
vorgebracht hat.
Indeſſen war man zwiſchen angenehmen
Büſchen und Hügeln, zwiſchen Gärten und
Weinbergen hingefahren, und die jungen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/305>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.