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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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fallen; er sähe ihr, sagte sie, zu steif und pe¬
dantisch aus. Desto besser behagte ihr Jo¬
nathan, sein glattes Kinn, sein gelb und ro¬
thes Kleid und der Turban. Auch wußte sie
ihn gar artig am Drate hin und her zu
drehen, ließ ihn Reverenzen machen und
Liebeserklärungen hersagen. Dagegen wollte
sie dem Propheten Samuel nicht die mindeste
Aufmerksamkeit schenken, wenn ihr gleich
Wilhelm das Brustschildchen anpries und er¬
zählte, daß der Schillertaft des Leibrocks
von einem alten Kleide der Großmutter ge¬
nommen sey. David war ihr zu klein, und
Goliath zu groß, sie hielt sich an ihren Jo¬
nathan. Sie wußte ihm so artig zu thun,
und zuletzt ihre Liebkosungen von der Puppe
auf unsern Freund herüber zu tragen, daß
auch dießmal wieder ein geringes Spiel die
Einleitung glücklicher Stunden ward.

Aus der Süßigkeit ihrer zärtlichen Träu¬

fallen; er ſähe ihr, ſagte ſie, zu ſteif und pe¬
dantiſch aus. Deſto beſſer behagte ihr Jo¬
nathan, ſein glattes Kinn, ſein gelb und ro¬
thes Kleid und der Turban. Auch wußte ſie
ihn gar artig am Drate hin und her zu
drehen, ließ ihn Reverenzen machen und
Liebeserklärungen herſagen. Dagegen wollte
ſie dem Propheten Samuel nicht die mindeſte
Aufmerkſamkeit ſchenken, wenn ihr gleich
Wilhelm das Bruſtſchildchen anpries und er¬
zählte, daß der Schillertaft des Leibrocks
von einem alten Kleide der Großmutter ge¬
nommen ſey. David war ihr zu klein, und
Goliath zu groß, ſie hielt ſich an ihren Jo¬
nathan. Sie wußte ihm ſo artig zu thun,
und zuletzt ihre Liebkoſungen von der Puppe
auf unſern Freund herüber zu tragen, daß
auch dießmal wieder ein geringes Spiel die
Einleitung glücklicher Stunden ward.

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[22/0030] fallen; er ſähe ihr, ſagte ſie, zu ſteif und pe¬ dantiſch aus. Deſto beſſer behagte ihr Jo¬ nathan, ſein glattes Kinn, ſein gelb und ro¬ thes Kleid und der Turban. Auch wußte ſie ihn gar artig am Drate hin und her zu drehen, ließ ihn Reverenzen machen und Liebeserklärungen herſagen. Dagegen wollte ſie dem Propheten Samuel nicht die mindeſte Aufmerkſamkeit ſchenken, wenn ihr gleich Wilhelm das Bruſtſchildchen anpries und er¬ zählte, daß der Schillertaft des Leibrocks von einem alten Kleide der Großmutter ge¬ nommen ſey. David war ihr zu klein, und Goliath zu groß, ſie hielt ſich an ihren Jo¬ nathan. Sie wußte ihm ſo artig zu thun, und zuletzt ihre Liebkoſungen von der Puppe auf unſern Freund herüber zu tragen, daß auch dießmal wieder ein geringes Spiel die Einleitung glücklicher Stunden ward. Aus der Süßigkeit ihrer zärtlichen Träu¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/30>, abgerufen am 27.04.2024.