Auf den Flügeln der Einbildungskraft hatte sich Wilhelms Begierde zu dem reizen¬ den Mädchen erhoben, nach einem kurzen Umgange hatte er ihre Neigung gewonnen, er fand sich im Besitz einer Person, die er so sehr liebte, ja verehrte: denn sie war ihm zuerst in dem günstigen Lichte theatralischer Vorstellung erschienen, und seine Leidenschaft zur Bühne verband sich mit der ersten Liebe zu einem weiblichen Geschöpfe. Seine Ju¬ gend ließ ihn reiche Freuden genießen, die von einer lebhaften Dichtung erhöht und er¬ halten wurden. Auch der Zustand seiner Ge¬ liebten gab ihrem Betragen eine Stimmung, welche seinen Empfindungen sehr zu Hülfe kam; die Furcht, ihr Geliebter möchte ihre übrigen Verhältnisse vor der Zeit entdecken, verbreitete über sie einen liebenswürdigen Anschein von Sorge und Schaam, ihre Lei¬ denschaft für ihn war lebhaft, selbst ihre Un¬
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Auf den Flügeln der Einbildungskraft hatte ſich Wilhelms Begierde zu dem reizen¬ den Mädchen erhoben, nach einem kurzen Umgange hatte er ihre Neigung gewonnen, er fand ſich im Beſitz einer Perſon, die er ſo ſehr liebte, ja verehrte: denn ſie war ihm zuerſt in dem günſtigen Lichte theatraliſcher Vorſtellung erſchienen, und ſeine Leidenſchaft zur Bühne verband ſich mit der erſten Liebe zu einem weiblichen Geſchöpfe. Seine Ju¬ gend ließ ihn reiche Freuden genießen, die von einer lebhaften Dichtung erhöht und er¬ halten wurden. Auch der Zuſtand ſeiner Ge¬ liebten gab ihrem Betragen eine Stimmung, welche ſeinen Empfindungen ſehr zu Hülfe kam; die Furcht, ihr Geliebter möchte ihre übrigen Verhältniſſe vor der Zeit entdecken, verbreitete über ſie einen liebenswürdigen Anſchein von Sorge und Schaam, ihre Lei¬ denſchaft für ihn war lebhaft, ſelbſt ihre Un¬
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Auf den Flügeln der Einbildungskraft
hatte ſich Wilhelms Begierde zu dem reizen¬
den Mädchen erhoben, nach einem kurzen
Umgange hatte er ihre Neigung gewonnen,
er fand ſich im Beſitz einer Perſon, die er
ſo ſehr liebte, ja verehrte: denn ſie war ihm
zuerſt in dem günſtigen Lichte theatraliſcher
Vorſtellung erſchienen, und ſeine Leidenſchaft
zur Bühne verband ſich mit der erſten Liebe
zu einem weiblichen Geſchöpfe. Seine Ju¬
gend ließ ihn reiche Freuden genießen, die
von einer lebhaften Dichtung erhöht und er¬
halten wurden. Auch der Zuſtand ſeiner Ge¬
liebten gab ihrem Betragen eine Stimmung,
welche ſeinen Empfindungen ſehr zu Hülfe
kam; die Furcht, ihr Geliebter möchte ihre
übrigen Verhältniſſe vor der Zeit entdecken,
verbreitete über ſie einen liebenswürdigen
Anſchein von Sorge und Schaam, ihre Lei¬
denſchaft für ihn war lebhaft, ſelbſt ihre Un¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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