Mit nichten, versetzte Philine. Ihr sollt Euch keinesweges beklagen. Sie nahm ihren Kranz vom Haupte, und setzte ihn Laertes auf.
Wären wir Nebenbuhler, sagte dieser, so würden wir sehr heftig streiten können, wel¬ chen von beiden du am meisten begünstigst.
Da wär't ihr rechte Thoren, versetzte sie, indem sie sich zu ihm hinüberbog, und ihm den Mund zum Kuß reichte; sich aber so¬ gleich umwendete, ihren Arm um Wilhelmen schlang, und einen lebhaften Kuß auf seine Lippen drückte. Welcher schmeckt am besten? fragte sie neckisch.
Wunderlich! rief Laertes. Es scheint als wenn so etwas niemals nach Wermuth schmek¬ ken könne.
So wenig, sagte Philine, als irgend eine Gabe, die jemand ohne Neid und Eigensinn genießt. Nun hätte ich, rief sie aus, noch
Mit nichten, verſetzte Philine. Ihr ſollt Euch keinesweges beklagen. Sie nahm ihren Kranz vom Haupte, und ſetzte ihn Laertes auf.
Wären wir Nebenbuhler, ſagte dieſer, ſo würden wir ſehr heftig ſtreiten können, wel¬ chen von beiden du am meiſten begünſtigſt.
Da wär’t ihr rechte Thoren, verſetzte ſie, indem ſie ſich zu ihm hinüberbog, und ihm den Mund zum Kuß reichte; ſich aber ſo¬ gleich umwendete, ihren Arm um Wilhelmen ſchlang, und einen lebhaften Kuß auf ſeine Lippen drückte. Welcher ſchmeckt am beſten? fragte ſie neckiſch.
Wunderlich! rief Laertes. Es ſcheint als wenn ſo etwas niemals nach Wermuth ſchmek¬ ken könne.
So wenig, ſagte Philine, als irgend eine Gabe, die jemand ohne Neid und Eigenſinn genießt. Nun hätte ich, rief ſie aus, noch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0262"n="254"/><p>Mit nichten, verſetzte Philine. Ihr ſollt<lb/>
Euch keinesweges beklagen. Sie nahm<lb/><hirendition="#g">ihren</hi> Kranz vom Haupte, und ſetzte ihn<lb/>
Laertes auf.</p><lb/><p>Wären wir Nebenbuhler, ſagte dieſer, ſo<lb/>
würden wir ſehr heftig ſtreiten können, wel¬<lb/>
chen von beiden du am meiſten begünſtigſt.</p><lb/><p>Da wär’t ihr rechte Thoren, verſetzte ſie,<lb/>
indem ſie ſich zu ihm hinüberbog, und ihm<lb/>
den Mund zum Kuß reichte; ſich aber ſo¬<lb/>
gleich umwendete, ihren Arm um Wilhelmen<lb/>ſchlang, und einen lebhaften Kuß auf ſeine<lb/>
Lippen drückte. Welcher ſchmeckt am beſten?<lb/>
fragte ſie neckiſch.</p><lb/><p>Wunderlich! rief Laertes. Es ſcheint als<lb/>
wenn ſo etwas niemals nach Wermuth ſchmek¬<lb/>
ken könne.</p><lb/><p>So wenig, ſagte Philine, als irgend eine<lb/>
Gabe, die jemand ohne Neid und Eigenſinn<lb/>
genießt. Nun hätte ich, rief ſie aus, noch<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[254/0262]
Mit nichten, verſetzte Philine. Ihr ſollt
Euch keinesweges beklagen. Sie nahm
ihren Kranz vom Haupte, und ſetzte ihn
Laertes auf.
Wären wir Nebenbuhler, ſagte dieſer, ſo
würden wir ſehr heftig ſtreiten können, wel¬
chen von beiden du am meiſten begünſtigſt.
Da wär’t ihr rechte Thoren, verſetzte ſie,
indem ſie ſich zu ihm hinüberbog, und ihm
den Mund zum Kuß reichte; ſich aber ſo¬
gleich umwendete, ihren Arm um Wilhelmen
ſchlang, und einen lebhaften Kuß auf ſeine
Lippen drückte. Welcher ſchmeckt am beſten?
fragte ſie neckiſch.
Wunderlich! rief Laertes. Es ſcheint als
wenn ſo etwas niemals nach Wermuth ſchmek¬
ken könne.
So wenig, ſagte Philine, als irgend eine
Gabe, die jemand ohne Neid und Eigenſinn
genießt. Nun hätte ich, rief ſie aus, noch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/262>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.