Noth weise gewordnen Traurigen. Wie lan¬ ge hielt ich mich für unzerstörbar, für un¬ verwundlich, und ach! nun seh ich, daß ein tiefer früher Schade nicht wieder auswach¬ sen, sich nicht wieder herstellen kann; ich fühle, daß ich ihn mit ins Grab nehmen muß. Nein! keinen Tag des Lebens soll der Schmerz von mir weichen, der mich noch zu¬ letzt umbringt, und auch ihr Andenken soll bey mir bleiben, mit mir leben und sterben, das Andenken der Unwürdigen -- ach, mein Freund! wenn ich von Herzen reden soll -- der gewiß nicht ganz Unwürdigen ! Ihr Stand, ihre Schicksale haben sie tausendmal bey mir entschuldigt. Ich bin zu grausam gewesen, du hast mich in deine Kälte, in dei¬ ne Härte unbarmherzig eingeweiht, meine zerrütteten Sinne gefangen gehalten und mich verhindert, das für sie und für mich zu thun, was ich uns beiden schuldig war.
Noth weiſe gewordnen Traurigen. Wie lan¬ ge hielt ich mich für unzerſtörbar, für un¬ verwundlich, und ach! nun ſeh ich, daß ein tiefer früher Schade nicht wieder auswach¬ ſen, ſich nicht wieder herſtellen kann; ich fühle, daß ich ihn mit ins Grab nehmen muß. Nein! keinen Tag des Lebens ſoll der Schmerz von mir weichen, der mich noch zu¬ letzt umbringt, und auch ihr Andenken ſoll bey mir bleiben, mit mir leben und ſterben, das Andenken der Unwürdigen — ach, mein Freund! wenn ich von Herzen reden ſoll — der gewiß nicht ganz Unwürdigen ! Ihr Stand, ihre Schickſale haben ſie tauſendmal bey mir entſchuldigt. Ich bin zu grauſam geweſen, du haſt mich in deine Kälte, in dei¬ ne Härte unbarmherzig eingeweiht, meine zerrütteten Sinne gefangen gehalten und mich verhindert, das für ſie und für mich zu thun, was ich uns beiden ſchuldig war.
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Noth weiſe gewordnen Traurigen. Wie lan¬
ge hielt ich mich für unzerſtörbar, für un¬
verwundlich, und ach! nun ſeh ich, daß ein
tiefer früher Schade nicht wieder auswach¬
ſen, ſich nicht wieder herſtellen kann; ich
fühle, daß ich ihn mit ins Grab nehmen
muß. Nein! keinen Tag des Lebens ſoll der
Schmerz von mir weichen, der mich noch zu¬
letzt umbringt, und auch ihr Andenken ſoll
bey mir bleiben, mit mir leben und ſterben,
das Andenken der Unwürdigen — ach, mein
Freund! wenn ich von Herzen reden ſoll —
der gewiß nicht ganz Unwürdigen ! Ihr
Stand, ihre Schickſale haben ſie tauſendmal
bey mir entſchuldigt. Ich bin zu grauſam
geweſen, du haſt mich in deine Kälte, in dei¬
ne Härte unbarmherzig eingeweiht, meine
zerrütteten Sinne gefangen gehalten und
mich verhindert, das für ſie und für mich
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/218>, abgerufen am 22.11.2024.
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