schönste Bewußtseyn die Krone reicht, einen vordringenden Seufzer kaum zu ersticken vermag.
Auf diese Weise hatte Wilhelm eine Zeit¬ lang sehr emsig fortgelebt und sich überzeugt, daß jene harte Prüfung vom Schicksale zu seinem Besten veranstaltet worden. Er war froh, auf dem Wege des Lebens sich bey Zeiten, obgleich unfreundlich genug, gewarnt zu sehen, anstatt daß andere später und schwerer die Mißgriffe büßen, wozu sie ein jugendlicher Dünkel verleitet hat. Denn ge¬ wöhnlich wehrt sich der Mensch so lange als er kann, den Thoren, den er im Busen hegt, zu verabschieden, einen Hauptirrthum zu be¬ kennen, und eine Wahrheit einzugestehen, die ihn zur Verzweiflung bringt.
So entschlossen er war, seinen liebsten Vorstellungen zu entsagen, so war doch eini¬ ge Zeit nöthig, um ihn von seinem Unglücke
N 2
ſchönſte Bewußtſeyn die Krone reicht, einen vordringenden Seufzer kaum zu erſticken vermag.
Auf dieſe Weiſe hatte Wilhelm eine Zeit¬ lang ſehr emſig fortgelebt und ſich überzeugt, daß jene harte Prüfung vom Schickſale zu ſeinem Beſten veranſtaltet worden. Er war froh, auf dem Wege des Lebens ſich bey Zeiten, obgleich unfreundlich genug, gewarnt zu ſehen, anſtatt daß andere ſpäter und ſchwerer die Mißgriffe büßen, wozu ſie ein jugendlicher Dünkel verleitet hat. Denn ge¬ wöhnlich wehrt ſich der Menſch ſo lange als er kann, den Thoren, den er im Buſen hegt, zu verabſchieden, einen Hauptirrthum zu be¬ kennen, und eine Wahrheit einzugeſtehen, die ihn zur Verzweiflung bringt.
So entſchloſſen er war, ſeinen liebſten Vorſtellungen zu entſagen, ſo war doch eini¬ ge Zeit nöthig, um ihn von ſeinem Unglücke
N 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0203"n="195"/>ſchönſte Bewußtſeyn die Krone reicht, einen<lb/>
vordringenden Seufzer kaum zu erſticken<lb/>
vermag.</p><lb/><p>Auf dieſe Weiſe hatte Wilhelm eine Zeit¬<lb/>
lang ſehr emſig fortgelebt und ſich überzeugt,<lb/>
daß jene harte Prüfung vom Schickſale zu<lb/>ſeinem Beſten veranſtaltet worden. Er war<lb/>
froh, auf dem Wege des Lebens ſich bey<lb/>
Zeiten, obgleich unfreundlich genug, gewarnt<lb/>
zu ſehen, anſtatt daß andere ſpäter und<lb/>ſchwerer die Mißgriffe büßen, wozu ſie ein<lb/>
jugendlicher Dünkel verleitet hat. Denn ge¬<lb/>
wöhnlich wehrt ſich der Menſch ſo lange als<lb/>
er kann, den Thoren, den er im Buſen hegt,<lb/>
zu verabſchieden, einen Hauptirrthum zu be¬<lb/>
kennen, und eine Wahrheit einzugeſtehen, die<lb/>
ihn zur Verzweiflung bringt.</p><lb/><p>So entſchloſſen er war, ſeinen liebſten<lb/>
Vorſtellungen zu entſagen, ſo war doch eini¬<lb/>
ge Zeit nöthig, um ihn von ſeinem Unglücke<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 2<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[195/0203]
ſchönſte Bewußtſeyn die Krone reicht, einen
vordringenden Seufzer kaum zu erſticken
vermag.
Auf dieſe Weiſe hatte Wilhelm eine Zeit¬
lang ſehr emſig fortgelebt und ſich überzeugt,
daß jene harte Prüfung vom Schickſale zu
ſeinem Beſten veranſtaltet worden. Er war
froh, auf dem Wege des Lebens ſich bey
Zeiten, obgleich unfreundlich genug, gewarnt
zu ſehen, anſtatt daß andere ſpäter und
ſchwerer die Mißgriffe büßen, wozu ſie ein
jugendlicher Dünkel verleitet hat. Denn ge¬
wöhnlich wehrt ſich der Menſch ſo lange als
er kann, den Thoren, den er im Buſen hegt,
zu verabſchieden, einen Hauptirrthum zu be¬
kennen, und eine Wahrheit einzugeſtehen, die
ihn zur Verzweiflung bringt.
So entſchloſſen er war, ſeinen liebſten
Vorſtellungen zu entſagen, ſo war doch eini¬
ge Zeit nöthig, um ihn von ſeinem Unglücke
N 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/203>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.