Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

tragen, unsrer Stimme öffentlich gegeben
wird, Verzicht zu thun.

Auf diese Weise hatte sich unser Freund
völlig resignirt, und sich zugleich mit großen
Eifer den Handelsgeschäften gewidmet. Zum
Erstaunen seines Freundes und zur größten
Zufriedenheit seines Vaters war niemand auf
dem Comtoir und der Börse, im Laden und
Gewölbe thätiger, als er; Correspondenz und
Rechnungen, und was ihm aufgetragen wur¬
de, besorgte und verrichtete er mit größten
Fleiß und Eifer. Freylich nicht mit dem
heitern Fleiße, der zugleich dem Geschäftigen
Belohnung ist, wenn wir dasjenige, wozu
wir geboren sind, mit Ordnung und Folge
verrichten, sondern mit dem stillen Fleiße der
Pflicht, der den besten Vorsatz zum Grunde
hat, der durch Überzeugung genährt und
durch ein innres Selbstgefühl belohnt wird;
der aber doch oft, selbst dann, wenn ihm das

tragen, unſrer Stimme öffentlich gegeben
wird, Verzicht zu thun.

Auf dieſe Weiſe hatte ſich unſer Freund
völlig reſignirt, und ſich zugleich mit großen
Eifer den Handelsgeſchäften gewidmet. Zum
Erſtaunen ſeines Freundes und zur größten
Zufriedenheit ſeines Vaters war niemand auf
dem Comtoir und der Börſe, im Laden und
Gewölbe thätiger, als er; Correſpondenz und
Rechnungen, und was ihm aufgetragen wur¬
de, beſorgte und verrichtete er mit größten
Fleiß und Eifer. Freylich nicht mit dem
heitern Fleiße, der zugleich dem Geſchäftigen
Belohnung iſt, wenn wir dasjenige, wozu
wir geboren ſind, mit Ordnung und Folge
verrichten, ſondern mit dem ſtillen Fleiße der
Pflicht, der den beſten Vorſatz zum Grunde
hat, der durch Überzeugung genährt und
durch ein innres Selbſtgefühl belohnt wird;
der aber doch oft, ſelbſt dann, wenn ihm das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0202" n="194"/>
tragen, un&#x017F;rer Stimme öffentlich gegeben<lb/>
wird, Verzicht zu thun.</p><lb/>
            <p>Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e hatte &#x017F;ich un&#x017F;er Freund<lb/>
völlig re&#x017F;ignirt, und &#x017F;ich zugleich mit großen<lb/>
Eifer den Handelsge&#x017F;chäften gewidmet. Zum<lb/>
Er&#x017F;taunen &#x017F;eines Freundes und zur größten<lb/>
Zufriedenheit &#x017F;eines Vaters war niemand auf<lb/>
dem Comtoir und der Bör&#x017F;e, im Laden und<lb/>
Gewölbe thätiger, als er; Corre&#x017F;pondenz und<lb/>
Rechnungen, und was ihm aufgetragen wur¬<lb/>
de, be&#x017F;orgte und verrichtete er mit größten<lb/>
Fleiß und Eifer. Freylich nicht mit dem<lb/>
heitern Fleiße, der zugleich dem Ge&#x017F;chäftigen<lb/>
Belohnung i&#x017F;t, wenn wir dasjenige, wozu<lb/>
wir geboren &#x017F;ind, mit Ordnung und Folge<lb/>
verrichten, &#x017F;ondern mit dem &#x017F;tillen Fleiße der<lb/>
Pflicht, der den be&#x017F;ten Vor&#x017F;atz zum Grunde<lb/>
hat, der durch Überzeugung genährt und<lb/>
durch ein innres Selb&#x017F;tgefühl belohnt wird;<lb/>
der aber doch oft, &#x017F;elb&#x017F;t dann, wenn ihm das<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0202] tragen, unſrer Stimme öffentlich gegeben wird, Verzicht zu thun. Auf dieſe Weiſe hatte ſich unſer Freund völlig reſignirt, und ſich zugleich mit großen Eifer den Handelsgeſchäften gewidmet. Zum Erſtaunen ſeines Freundes und zur größten Zufriedenheit ſeines Vaters war niemand auf dem Comtoir und der Börſe, im Laden und Gewölbe thätiger, als er; Correſpondenz und Rechnungen, und was ihm aufgetragen wur¬ de, beſorgte und verrichtete er mit größten Fleiß und Eifer. Freylich nicht mit dem heitern Fleiße, der zugleich dem Geſchäftigen Belohnung iſt, wenn wir dasjenige, wozu wir geboren ſind, mit Ordnung und Folge verrichten, ſondern mit dem ſtillen Fleiße der Pflicht, der den beſten Vorſatz zum Grunde hat, der durch Überzeugung genährt und durch ein innres Selbſtgefühl belohnt wird; der aber doch oft, ſelbſt dann, wenn ihm das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/202
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/202>, abgerufen am 08.05.2024.