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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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und gab seinem Freunde alle die Bitterkei¬
ten zu kosten, die ruhige Menschen an Lie¬
bende mit tugendhafter Schadenfreude so
freygebig auszuspenden pflegen. Aber wie
man sich denken kann, richtete er wenig aus.
Wilhelm versetzte mit inniger Bewegung,
doch mit großer Sicherheit: du kennst das
Mädchen nicht, der Schein ist vielleicht nicht
zu ihrem Vortheil, aber ich bin ihrer Treue
und Tugend so gewiß als meiner Liebe.

Werner beharrte auf seiner Anklage, und
erbot sich zu Beweisen und Zeugen. Wil¬
helm verwarf sie, und entfernte sich von sei¬
nem Freunde verdrießlich und erschüttert,
wie einer, dem ein ungeschickter Zahnarzt
einen schadhaft festsitzenden Zahn gefaßt und
vergebens daran geruckt hat.

Höchst unbehaglich fand sich Wilhelm,
das schöne Bild Marianens erst durch die
Grillen der Reise, dann durch Werners Un¬

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und gab ſeinem Freunde alle die Bitterkei¬
ten zu koſten, die ruhige Menſchen an Lie¬
bende mit tugendhafter Schadenfreude ſo
freygebig auszuſpenden pflegen. Aber wie
man ſich denken kann, richtete er wenig aus.
Wilhelm verſetzte mit inniger Bewegung,
doch mit großer Sicherheit: du kennſt das
Mädchen nicht, der Schein iſt vielleicht nicht
zu ihrem Vortheil, aber ich bin ihrer Treue
und Tugend ſo gewiß als meiner Liebe.

Werner beharrte auf ſeiner Anklage, und
erbot ſich zu Beweiſen und Zeugen. Wil¬
helm verwarf ſie, und entfernte ſich von ſei¬
nem Freunde verdrießlich und erſchüttert,
wie einer, dem ein ungeſchickter Zahnarzt
einen ſchadhaft feſtſitzenden Zahn gefaßt und
vergebens daran geruckt hat.

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das ſchöne Bild Marianens erſt durch die
Grillen der Reiſe, dann durch Werners Un¬

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[147/0155] und gab ſeinem Freunde alle die Bitterkei¬ ten zu koſten, die ruhige Menſchen an Lie¬ bende mit tugendhafter Schadenfreude ſo freygebig auszuſpenden pflegen. Aber wie man ſich denken kann, richtete er wenig aus. Wilhelm verſetzte mit inniger Bewegung, doch mit großer Sicherheit: du kennſt das Mädchen nicht, der Schein iſt vielleicht nicht zu ihrem Vortheil, aber ich bin ihrer Treue und Tugend ſo gewiß als meiner Liebe. Werner beharrte auf ſeiner Anklage, und erbot ſich zu Beweiſen und Zeugen. Wil¬ helm verwarf ſie, und entfernte ſich von ſei¬ nem Freunde verdrießlich und erſchüttert, wie einer, dem ein ungeſchickter Zahnarzt einen ſchadhaft feſtſitzenden Zahn gefaßt und vergebens daran geruckt hat. Höchſt unbehaglich fand ſich Wilhelm, das ſchöne Bild Marianens erſt durch die Grillen der Reiſe, dann durch Werners Un¬ K 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/155>, abgerufen am 24.11.2024.