Schärpe um den Leib, und er soll manchmal einen Dolch, den er sich aus einer alten Rüstkammer zugeeignet, in den Gürtel ge¬ steckt, und so die ihm zugetheilten tragischen Rollen memorirt und probirt, ja in eben dem Sinne sein Gebet kniend auf dem Tep¬ pich verrichtet haben.
Wie glücklich prieß er daher in früheren Zeiten den Schauspieler, den er im Besitz so mancher majestätischen Kleider, Rüstungen und Waffen, und in steter Übung eines ed¬ len Betragens sah, dessen Geist einen Spie¬ gel des herrlichsten und prächtigsten, was die Welt an Verhältnissen, Gesinnungen und Lei¬ denschaften hervorgebracht, darzustellen schien. Eben so dachte sich Wilhelm auch das häus¬ liche Leben eines Schauspielers als eine Reihe von würdigen Handlungen und Beschäfti¬ gungen, davon die Erscheinung auf dem Theater die äusserste Spitze sey. Etwa wie
Schärpe um den Leib, und er ſoll manchmal einen Dolch, den er ſich aus einer alten Rüſtkammer zugeeignet, in den Gürtel ge¬ ſteckt, und ſo die ihm zugetheilten tragiſchen Rollen memorirt und probirt, ja in eben dem Sinne ſein Gebet kniend auf dem Tep¬ pich verrichtet haben.
Wie glücklich prieß er daher in früheren Zeiten den Schauſpieler, den er im Beſitz ſo mancher majeſtätiſchen Kleider, Rüſtungen und Waffen, und in ſteter Übung eines ed¬ len Betragens ſah, deſſen Geiſt einen Spie¬ gel des herrlichſten und prächtigſten, was die Welt an Verhältniſſen, Geſinnungen und Lei¬ denſchaften hervorgebracht, darzuſtellen ſchien. Eben ſo dachte ſich Wilhelm auch das häus¬ liche Leben eines Schauſpielers als eine Reihe von würdigen Handlungen und Beſchäfti¬ gungen, davon die Erſcheinung auf dem Theater die äuſſerſte Spitze ſey. Etwa wie
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Schärpe um den Leib, und er ſoll manchmal
einen Dolch, den er ſich aus einer alten
Rüſtkammer zugeeignet, in den Gürtel ge¬
ſteckt, und ſo die ihm zugetheilten tragiſchen
Rollen memorirt und probirt, ja in eben
dem Sinne ſein Gebet kniend auf dem Tep¬
pich verrichtet haben.
Wie glücklich prieß er daher in früheren
Zeiten den Schauſpieler, den er im Beſitz ſo
mancher majeſtätiſchen Kleider, Rüſtungen
und Waffen, und in ſteter Übung eines ed¬
len Betragens ſah, deſſen Geiſt einen Spie¬
gel des herrlichſten und prächtigſten, was die
Welt an Verhältniſſen, Geſinnungen und Lei¬
denſchaften hervorgebracht, darzuſtellen ſchien.
Eben ſo dachte ſich Wilhelm auch das häus¬
liche Leben eines Schauſpielers als eine Reihe
von würdigen Handlungen und Beſchäfti¬
gungen, davon die Erſcheinung auf dem
Theater die äuſſerſte Spitze ſey. Etwa wie
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/146>, abgerufen am 24.11.2024.
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