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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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wußte er, in den Knabenjahren, sein Zim¬
mer, das er als sein kleines Reich ansah,
stattlich auszustaffiren. Seine Bettvorhänge
waren in große Falten aufgezogen und mit
Quasten befestigt, wie man Thronen vorzu¬
stellen pflegt, er hatte sich einen Teppich in
die Mitte des Zimmers, und einen feinern
auf den Tisch anzuschaffen gewußt, seine Bü¬
cher und Geräthschaften legte und stellte er
fast mechanisch so, daß ein niederländischer
Mahler gute Gruppen zu seinen Still-Leben
hätte heraus nehmen können. Eine weiße
Mütze hatte er wie einen Turban zurecht ge¬
bunden, und die Ermel seines Schlafrocks
nach orientalischen Costüme kurz stutzen las¬
sen. Doch gab er hiervon die Ursache an,
daß die langen weiten Ermel ihn im Schrei¬
ben hinderten. Wenn er Abends ganz allein
war, und nicht mehr fürchten durfte, gestört
zu werden, trug er gewöhnlich eine seidene

wußte er, in den Knabenjahren, ſein Zim¬
mer, das er als ſein kleines Reich anſah,
ſtattlich auszuſtaffiren. Seine Bettvorhänge
waren in große Falten aufgezogen und mit
Quaſten befeſtigt, wie man Thronen vorzu¬
ſtellen pflegt, er hatte ſich einen Teppich in
die Mitte des Zimmers, und einen feinern
auf den Tiſch anzuſchaffen gewußt, ſeine Bü¬
cher und Geräthſchaften legte und ſtellte er
faſt mechaniſch ſo, daß ein niederländiſcher
Mahler gute Gruppen zu ſeinen Still-Leben
hätte heraus nehmen können. Eine weiße
Mütze hatte er wie einen Turban zurecht ge¬
bunden, und die Ermel ſeines Schlafrocks
nach orientaliſchen Coſtüme kurz ſtutzen laſ¬
ſen. Doch gab er hiervon die Urſache an,
daß die langen weiten Ermel ihn im Schrei¬
ben hinderten. Wenn er Abends ganz allein
war, und nicht mehr fürchten durfte, geſtört
zu werden, trug er gewöhnlich eine ſeidene

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[137/0145] wußte er, in den Knabenjahren, ſein Zim¬ mer, das er als ſein kleines Reich anſah, ſtattlich auszuſtaffiren. Seine Bettvorhänge waren in große Falten aufgezogen und mit Quaſten befeſtigt, wie man Thronen vorzu¬ ſtellen pflegt, er hatte ſich einen Teppich in die Mitte des Zimmers, und einen feinern auf den Tiſch anzuſchaffen gewußt, ſeine Bü¬ cher und Geräthſchaften legte und ſtellte er faſt mechaniſch ſo, daß ein niederländiſcher Mahler gute Gruppen zu ſeinen Still-Leben hätte heraus nehmen können. Eine weiße Mütze hatte er wie einen Turban zurecht ge¬ bunden, und die Ermel ſeines Schlafrocks nach orientaliſchen Coſtüme kurz ſtutzen laſ¬ ſen. Doch gab er hiervon die Urſache an, daß die langen weiten Ermel ihn im Schrei¬ ben hinderten. Wenn er Abends ganz allein war, und nicht mehr fürchten durfte, geſtört zu werden, trug er gewöhnlich eine ſeidene

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/145>, abgerufen am 09.05.2024.