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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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helfen uns Hindernisse überwinden, Wege
bahnen, und uns aus dem engen Kreise, wo¬
rin sich andere kümmerlich abängstigen, empor¬
heben. Dir sind die Breter nichts als Bre¬
ter, und die Rollen, was einem Schulknaben
sein Pensum ist. Die Zuschauer siehst du
an, wie sie sich selbst an Werkeltagen vor¬
kommen. Dir könnte es also freylich einer¬
ley seyn, hinter einem Pult über liniirten
Büchern zu sitzen, Zinsen einzutragen und
Reste herauszustochern. Du fühlst nicht das
zusammenbrennende, zusammentreffende Gan¬
ze, das allein durch den Geist erfunden, be¬
griffen und ausgeführt wird, du fühlst nicht,
daß in den Menschen ein besserer Funke
lebt, der, wenn er keine Nahrung erhält,
wenn er nicht geregt wird, von der Asche
täglicher Bedürfnisse und Gleichgültigkeit tie¬
fer bedeckt, und doch so spät und fast nie
erstickt wird. Du fühlst in deiner Seele kei¬

ne

helfen uns Hinderniſſe überwinden, Wege
bahnen, und uns aus dem engen Kreiſe, wo¬
rin ſich andere kümmerlich abängſtigen, empor¬
heben. Dir ſind die Breter nichts als Bre¬
ter, und die Rollen, was einem Schulknaben
ſein Penſum iſt. Die Zuſchauer ſiehſt du
an, wie ſie ſich ſelbſt an Werkeltagen vor¬
kommen. Dir könnte es alſo freylich einer¬
ley ſeyn, hinter einem Pult über liniirten
Büchern zu ſitzen, Zinſen einzutragen und
Reſte herauszuſtochern. Du fühlſt nicht das
zuſammenbrennende, zuſammentreffende Gan¬
ze, das allein durch den Geiſt erfunden, be¬
griffen und ausgeführt wird, du fühlſt nicht,
daß in den Menſchen ein beſſerer Funke
lebt, der, wenn er keine Nahrung erhält,
wenn er nicht geregt wird, von der Aſche
täglicher Bedürfniſſe und Gleichgültigkeit tie¬
fer bedeckt, und doch ſo ſpät und faſt nie
erſtickt wird. Du fühlſt in deiner Seele kei¬

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[128/0136] helfen uns Hinderniſſe überwinden, Wege bahnen, und uns aus dem engen Kreiſe, wo¬ rin ſich andere kümmerlich abängſtigen, empor¬ heben. Dir ſind die Breter nichts als Bre¬ ter, und die Rollen, was einem Schulknaben ſein Penſum iſt. Die Zuſchauer ſiehſt du an, wie ſie ſich ſelbſt an Werkeltagen vor¬ kommen. Dir könnte es alſo freylich einer¬ ley ſeyn, hinter einem Pult über liniirten Büchern zu ſitzen, Zinſen einzutragen und Reſte herauszuſtochern. Du fühlſt nicht das zuſammenbrennende, zuſammentreffende Gan¬ ze, das allein durch den Geiſt erfunden, be¬ griffen und ausgeführt wird, du fühlſt nicht, daß in den Menſchen ein beſſerer Funke lebt, der, wenn er keine Nahrung erhält, wenn er nicht geregt wird, von der Aſche täglicher Bedürfniſſe und Gleichgültigkeit tie¬ fer bedeckt, und doch ſo ſpät und faſt nie erſtickt wird. Du fühlſt in deiner Seele kei¬ ne

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/136>, abgerufen am 08.05.2024.