Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

auf die Natur gewiesen, wollten wir daher
nichts gelten lassen als Wahrheit und Auf¬
richtigkeit des Gefühls, und den raschen der¬
ben Ausdruck desselben.

Freundschaft, Liebe, Brüderschaft,
Trägt die sich nicht von selber vor?

war Loosung und Feldgeschrey, woran sich die
Glieder unserer kleinen academischen Horde
zu erkennen und zu erquicken pflegten. Diese
Maxime lag zum Grunde allen unsern gesel¬
ligen Gelagen, bey welchen uns denn frey¬
lich manchen Abend Vetter Michel in seiner
wohlbekannten Deutschheit zu besuchen nicht
verfehlte.

Will man in dem bisher Erzählten nur
äußere zufällige Anlässe und persönliche Ei¬
genheiten finden, so hatte die französische Li¬
teratur an sich selbst gewisse Eigenschaften,
welche den strebenden Jüngling mehr absto¬
ßen als anziehn mußten. Sie war nämlich

auf die Natur gewieſen, wollten wir daher
nichts gelten laſſen als Wahrheit und Auf¬
richtigkeit des Gefuͤhls, und den raſchen der¬
ben Ausdruck deſſelben.

Freundſchaft, Liebe, Bruͤderſchaft,
Traͤgt die ſich nicht von ſelber vor?

war Looſung und Feldgeſchrey, woran ſich die
Glieder unſerer kleinen academiſchen Horde
zu erkennen und zu erquicken pflegten. Dieſe
Maxime lag zum Grunde allen unſern geſel¬
ligen Gelagen, bey welchen uns denn frey¬
lich manchen Abend Vetter Michel in ſeiner
wohlbekannten Deutſchheit zu beſuchen nicht
verfehlte.

Will man in dem bisher Erzaͤhlten nur
aͤußere zufaͤllige Anlaͤſſe und perſoͤnliche Ei¬
genheiten finden, ſo hatte die franzoͤſiſche Li¬
teratur an ſich ſelbſt gewiſſe Eigenſchaften,
welche den ſtrebenden Juͤngling mehr abſto¬
ßen als anziehn mußten. Sie war naͤmlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p xml:id="p-0093" next="p-0094"><pb facs="#f0094" n="86"/>
auf die Natur gewie&#x017F;en, wollten wir daher<lb/>
nichts gelten la&#x017F;&#x017F;en als Wahrheit und Auf¬<lb/>
richtigkeit des Gefu&#x0364;hls, und den ra&#x017F;chen der¬<lb/>
ben Ausdruck de&#x017F;&#x017F;elben.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Freund&#x017F;chaft, Liebe, Bru&#x0364;der&#x017F;chaft,</l><lb/>
          <l>Tra&#x0364;gt die &#x017F;ich nicht von &#x017F;elber vor?</l><lb/>
        </lg>
        <p xml:id="p-0094" prev="p-0093">war Loo&#x017F;ung und Feldge&#x017F;chrey, woran &#x017F;ich die<lb/>
Glieder un&#x017F;erer kleinen academi&#x017F;chen Horde<lb/>
zu erkennen und zu erquicken pflegten. Die&#x017F;e<lb/>
Maxime lag zum Grunde allen un&#x017F;ern ge&#x017F;el¬<lb/>
ligen Gelagen, bey welchen uns denn frey¬<lb/>
lich manchen Abend Vetter Michel in &#x017F;einer<lb/>
wohlbekannten Deut&#x017F;chheit zu be&#x017F;uchen nicht<lb/>
verfehlte.</p><lb/>
        <p>Will man in dem bisher Erza&#x0364;hlten nur<lb/>
a&#x0364;ußere zufa&#x0364;llige Anla&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und per&#x017F;o&#x0364;nliche Ei¬<lb/>
genheiten finden, &#x017F;o hatte die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Li¬<lb/>
teratur an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gewi&#x017F;&#x017F;e Eigen&#x017F;chaften,<lb/>
welche den &#x017F;trebenden Ju&#x0364;ngling mehr ab&#x017F;to¬<lb/>
ßen als anziehn mußten. Sie war na&#x0364;mlich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0094] auf die Natur gewieſen, wollten wir daher nichts gelten laſſen als Wahrheit und Auf¬ richtigkeit des Gefuͤhls, und den raſchen der¬ ben Ausdruck deſſelben. Freundſchaft, Liebe, Bruͤderſchaft, Traͤgt die ſich nicht von ſelber vor? war Looſung und Feldgeſchrey, woran ſich die Glieder unſerer kleinen academiſchen Horde zu erkennen und zu erquicken pflegten. Dieſe Maxime lag zum Grunde allen unſern geſel¬ ligen Gelagen, bey welchen uns denn frey¬ lich manchen Abend Vetter Michel in ſeiner wohlbekannten Deutſchheit zu beſuchen nicht verfehlte. Will man in dem bisher Erzaͤhlten nur aͤußere zufaͤllige Anlaͤſſe und perſoͤnliche Ei¬ genheiten finden, ſo hatte die franzoͤſiſche Li¬ teratur an ſich ſelbſt gewiſſe Eigenſchaften, welche den ſtrebenden Juͤngling mehr abſto¬ ßen als anziehn mußten. Sie war naͤmlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/94
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/94>, abgerufen am 03.05.2024.