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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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man über Theses eben so gut, ja noch besser
als über einen Tractat disputiren könne; in
Straßburg sey das gar nicht ungewöhnlich.
Ich ließ mich zu einem solchen Ausweg sehr
geneigt finden, allein mein Vater, dem ich
deshalb schrieb, verlangte ein ordentliches
Werk, das ich, wie er meynte, sehr wohl
ausfertigen könnte, wenn ich nur wollte und
nur die gehörige, Zeit dazu nähme. Ich war
nun genöthigt, mich auf irgend ein Allgemei¬
nes zu werfen, und etwas zu wählen, was
mir geläufig wäre. Die Kirchengeschichte
war mir fast noch bekannter als die Weltge¬
schichte, und mich hatte von jeher der Con¬
flict, in welchem sich die Kirche, der öffent¬
lich anerkannte Gottesdienst, nach zwey Sei¬
ten hin befindet und immer befinden wird,
höchlich interessirt. Denn einmal liegt sie in
ewigem Streit mit dem Staat, über den sie
sich erheben, und sodann mit den Einzelnen,
die sie alle zu sich versammeln will. Der
Staat von seiner Seite will ihr die Ober¬

man uͤber Theſes eben ſo gut, ja noch beſſer
als uͤber einen Tractat disputiren koͤnne; in
Straßburg ſey das gar nicht ungewoͤhnlich.
Ich ließ mich zu einem ſolchen Ausweg ſehr
geneigt finden, allein mein Vater, dem ich
deshalb ſchrieb, verlangte ein ordentliches
Werk, das ich, wie er meynte, ſehr wohl
ausfertigen koͤnnte, wenn ich nur wollte und
nur die gehoͤrige, Zeit dazu naͤhme. Ich war
nun genoͤthigt, mich auf irgend ein Allgemei¬
nes zu werfen, und etwas zu waͤhlen, was
mir gelaͤufig waͤre. Die Kirchengeſchichte
war mir faſt noch bekannter als die Weltge¬
ſchichte, und mich hatte von jeher der Con¬
flict, in welchem ſich die Kirche, der oͤffent¬
lich anerkannte Gottesdienſt, nach zwey Sei¬
ten hin befindet und immer befinden wird,
hoͤchlich intereſſirt. Denn einmal liegt ſie in
ewigem Streit mit dem Staat, uͤber den ſie
ſich erheben, und ſodann mit den Einzelnen,
die ſie alle zu ſich verſammeln will. Der
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[60/0068] man uͤber Theſes eben ſo gut, ja noch beſſer als uͤber einen Tractat disputiren koͤnne; in Straßburg ſey das gar nicht ungewoͤhnlich. Ich ließ mich zu einem ſolchen Ausweg ſehr geneigt finden, allein mein Vater, dem ich deshalb ſchrieb, verlangte ein ordentliches Werk, das ich, wie er meynte, ſehr wohl ausfertigen koͤnnte, wenn ich nur wollte und nur die gehoͤrige, Zeit dazu naͤhme. Ich war nun genoͤthigt, mich auf irgend ein Allgemei¬ nes zu werfen, und etwas zu waͤhlen, was mir gelaͤufig waͤre. Die Kirchengeſchichte war mir faſt noch bekannter als die Weltge¬ ſchichte, und mich hatte von jeher der Con¬ flict, in welchem ſich die Kirche, der oͤffent¬ lich anerkannte Gottesdienſt, nach zwey Sei¬ ten hin befindet und immer befinden wird, hoͤchlich intereſſirt. Denn einmal liegt ſie in ewigem Streit mit dem Staat, uͤber den ſie ſich erheben, und ſodann mit den Einzelnen, die ſie alle zu ſich verſammeln will. Der Staat von ſeiner Seite will ihr die Ober¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/68>, abgerufen am 24.11.2024.