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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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mögen, daß sie sich alles zutrauen, und die
Jugend muß sogar in diesem Falle seyn, da¬
mit nur etwas aus ihr werde. Eine Ueber¬
sicht der Rechtswissenschaft und ihres ganzen
Fachwerks hatte ich mir so ziemlich verschafft,
einzelne rechtliche Gegenstände interessirten
mich hinlänglich und ich glaubte, da ich mir
den braven Leyser zum Vorbild genommen
hatte, mit meinem kleinen Menschenverstand
ziemlich durchzukommen. Es zeigten sich gro¬
ße Bewegungen in der Jurisprudenz; es soll¬
te mehr nach Billigkeit geurtheilt werden;
alle Gewohnheitsrechte sah man täglich ge¬
fährdet und besonders dem Criminalwesen
stand eine große Veränderung bevor. Was
mich selbst betraf, so fühlte ich wohl, daß
mir zur Ausfüllung jener Rechts-Topik, die
ich mir gemacht hatte, unendlich vieles fehle;
das eigentliche Wissen ging mir ab, und kei¬
ne innere Richtung drängte mich zu diesen
Gegenständen. Auch mangelte der Anstoß von
außen, ja mich hatte eine ganz andere Fa¬

moͤgen, daß ſie ſich alles zutrauen, und die
Jugend muß ſogar in dieſem Falle ſeyn, da¬
mit nur etwas aus ihr werde. Eine Ueber¬
ſicht der Rechtswiſſenſchaft und ihres ganzen
Fachwerks hatte ich mir ſo ziemlich verſchafft,
einzelne rechtliche Gegenſtaͤnde intereſſirten
mich hinlaͤnglich und ich glaubte, da ich mir
den braven Leyſer zum Vorbild genommen
hatte, mit meinem kleinen Menſchenverſtand
ziemlich durchzukommen. Es zeigten ſich gro¬
ße Bewegungen in der Jurisprudenz; es ſoll¬
te mehr nach Billigkeit geurtheilt werden;
alle Gewohnheitsrechte ſah man taͤglich ge¬
faͤhrdet und beſonders dem Criminalweſen
ſtand eine große Veraͤnderung bevor. Was
mich ſelbſt betraf, ſo fuͤhlte ich wohl, daß
mir zur Ausfuͤllung jener Rechts-Topik, die
ich mir gemacht hatte, unendlich vieles fehle;
das eigentliche Wiſſen ging mir ab, und kei¬
ne innere Richtung draͤngte mich zu dieſen
Gegenſtaͤnden. Auch mangelte der Anſtoß von
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[58/0066] moͤgen, daß ſie ſich alles zutrauen, und die Jugend muß ſogar in dieſem Falle ſeyn, da¬ mit nur etwas aus ihr werde. Eine Ueber¬ ſicht der Rechtswiſſenſchaft und ihres ganzen Fachwerks hatte ich mir ſo ziemlich verſchafft, einzelne rechtliche Gegenſtaͤnde intereſſirten mich hinlaͤnglich und ich glaubte, da ich mir den braven Leyſer zum Vorbild genommen hatte, mit meinem kleinen Menſchenverſtand ziemlich durchzukommen. Es zeigten ſich gro¬ ße Bewegungen in der Jurisprudenz; es ſoll¬ te mehr nach Billigkeit geurtheilt werden; alle Gewohnheitsrechte ſah man taͤglich ge¬ faͤhrdet und beſonders dem Criminalweſen ſtand eine große Veraͤnderung bevor. Was mich ſelbſt betraf, ſo fuͤhlte ich wohl, daß mir zur Ausfuͤllung jener Rechts-Topik, die ich mir gemacht hatte, unendlich vieles fehle; das eigentliche Wiſſen ging mir ab, und kei¬ ne innere Richtung draͤngte mich zu dieſen Gegenſtaͤnden. Auch mangelte der Anſtoß von außen, ja mich hatte eine ganz andere Fa¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/66>, abgerufen am 25.11.2024.